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Das Gesagte hat aber noch eine weitere und gröfsere Bedeutung. Wenn wir nämlich zunächst die Richtung des älteren Völkerrechts mit einem Schlagworte bezeichnen wollen, so können wir ohne Übertreibung sagen, dafs es vorwiegend ein politisches Völkerrecht war. Es bewegte und betätigte sich zumeist auf demselben Gebiet, wie die Politik, sein Inhalt war vorwiegend von politischer Bedeutung, und es war daher auch ganz naturgemäfs, dafs dieses Völkerrecht über die Politik keine Macht gewinnen konnte, sondern im Gegenteil von der letzteren abhängig war. Das ältere Völkerrecht war in Wirklichkeit nichts als ein Instrument, auf dem die Politiker zu spielen pflegten. In Fragen, die das Gebiet der Politik berühren, ist das ja noch heute nicht anders.

So erscheint also das ältere Völkerrecht, entsprechend der Sphäre, in der es sich bewegte, gewisserma fsen als ein Appendix der Politik 18. Die Rechtsinstitute, die es entwickelte, hatten zum Teil rechtlich sehr geringen Wert, waren mehr formaler Natur, ja trugen zum Teil überhaupt keinerlei Rechtscharakter, sondern waren nur künstlich zu Rechts

nationale a pour objet l'ensemble de toutes les mesures administratives ou juridiques dont la sphère s'étend au delà des frontières," schreibt er in der Revue de droit international, Bd. 18, S. 329. Er definiert die internationale Verwaltung (Völkerrecht, Bd. 2, S. 1) als die innerhalb der durch das Völkerrecht gezogenen Schranken geübte freie Tätigkeit der Staaten im Bereich der internationalen Gemeinschaft zum Zwecke der Erfüllung ihrer Lebensaufgaben. Den Gegenstand der internationalen Verwaltung bilde die Gesamtheit aller staatlichen Aufgaben und Rechtsverhältnisse, die die Landesgrenzen des Staates überschreiten. An Umfang und Bedeutung übertreffe die internationale Verwaltung bei weitem die innere Verwaltung; die Staatsgewalt, indem sie im Gebiete der internationalen Beziehungen tätig werde, ergreife alle Seiten des internationalen Lebens und strebe nach rechtlicher Umschreibung aller Äufserungen desselben. - So treffend diese Bemerkungen sind, so fassen sie doch das Wort „internationale Verwaltung“ nicht in seiner eigentlichen Bedeutung, sondern im Sinne von „internationaler Regelung, internationalem Schutz". Siehe auch unten § 3.

18 Vgl. dazu namentlich Hilty, insbesondere im „Politischen Jahrbuch der schweizerischen Eidgenossenschaft", Bd. 8, S. 197 f.

instituten gestempelt. All das war aber nur eine Folgeerscheinung der Richtung, in der sich das Völkerrecht damals bewegte und die es eben von vornherein ausschlofs, dafs das Völkerrecht eine wirkliche Macht neben oder über der Politik wurde.

Nun unterliegt es ja, wie gesagt, keinem Zweifel, dafs die Politik die Staatenbeziehungen auch heute noch in erster Linie beherrscht. Aber, was die neuere Entwicklung vor der älteren Zeit auszeichnet, ist das, dafs wir heute Gebiete des internationalen Rechts haben, die von der Politik völlig unabhängig sind oder sein können, weil sie eben mit der Politik an und für sich gar nichts zu tun haben. Der Weg der Entwicklung des neuen internationalen Rechts führt gewissermafsen immer weiter fort von der Politik, was man vom Rechtsstandpunkte aus sicherlich nur warm begrüfsen kann. Die neuere internationale Rechtsbildung bewegt sich, wie wir gesehen haben, hauptsächlich auf dem Gebiete des Verkehrs und des Schutzes der durch diesen Verkehr zum Teil erst neu entstandenen Rechtsgüter, und diese können zweifellos an und für sich gänzlich unabhängig von politischen Fragen und Konstellationen geregelt werden.

Wenn wir also für den Teil des internationalen Rechts, der in den letzten 30 Jahren geschaffen wurde, für das neue Völkerrecht ebenfalls einen dasselbe charakterisierenden Namen, ein Schlagwort suchen wollen, so können wir dieses im Gegensatz zu dem politischen Völkerrecht der älteren Zeit geradezu als ein Verkehrsvölkerrecht, ein Weltverkehrsrecht bezeichnen.

Die Bedeutung dieser neuen Richtung dürfen wir aber vor allen Dingen darin suchen, dafs der Boden, auf dem sich die neuen Schöpfungen entwickeln, den Vorteil bietet, dafs hier eine wirkliche Herrschaft des Rechts möglich ist. Die Verkehrs- und Rechtsverhältnisse können, wie gesagt, an sich meist ohne politische Rücksichten geregelt werden, und es

bedarf keinerlei Hinweises darauf, von welcher weittragenden Bedeutung diese prinzipielle Unabhängigkeit der neuen internationalen Rechtsgebiete von politischen Fragen ist. Man könnte geradezu sagen, eine wirkliche, wenn auch noch beschränkte Herrschaft des Rechts im Völkerleben habe in der Zeitepoche begonnen, in der ein internationales Recht auch die Verkehrs- und Rechtsverhältnisse der Völker zu regeln begann, in der ein internationales Verkehrsrecht sich zum politischen Völkerrecht gesellte 19.

Den Gang der neueren Entwicklung des internationalen Rechts könnten wir also vielleicht dahin zusammenfassen, dafs wir sagen, es habe sich ein neues internationales Recht in der Gestalt eines Weltverkehrsrechts zu entwickeln begonnen ein internationales Recht, das mit der Politik nichts zu tun hat und in dem wir daher gleichzeitig auch, wie noch zu zeigen sein wird, die Anfänge einer wirklichen Herrschaft des Rechts auf internationalem Boden begrüfsen dürfen, und zwar um so mehr, als es an Umfang und Bedeutung das alte Völkerrecht bei weitem überragt.

Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, dafs das Völkerrecht auf anderen Gebieten keine Fortschritte gemacht habe, sondern lediglich, dafs die Fortschritte der hier gedachten Art für die neuere Entwicklung charakteristisch und für die Zukunft am meisten bedeutsam seien.

Leugnen lässt sich anderseits nicht, dafs die Völkerrechts

19 In welchem Mafse die Herrschaft der Gewalt gegenüber der Herrschaft des Rechts in den letzten 100 Jahren zurückgegangen ist, das schildert trefflich Pierantoni in der oben zitierten Schrift. Er betont gleich auf S. 3: „Aus meinem Abrifs wird erhellen, dafs die Herrschaft der Gewalt in starkem Masse zurückgegangen ist und dafs Recht und Gerechtigkeit sich breite Bahnen öffneten." Denselben Nachweis führt auch Descamps in der schon erwähnten Denkschrift. Auf S. 13 schreibt er: „Immer weiter dehnt sich die Herrschaft des Rechtes für den Sehenden aus, während die Herrschaft der Gewalt und Barbarei vor dem Siegesschritt des Rechts beständig zurückweicht.."

theorie mit dieser Entwicklung nicht überall gleichen Schritt gehalten hat, sondern vielfach noch ganz in den Anschauungen des Zeitalters des politischen Völkerrechts befangen ist, also geradezu im Widerspruch mit der wirklichen Entwicklung des modernen Rechtslebens steht. Indem sie so die Anschauungen und Rechtszustände einer früheren Epoche gewohnheitsmäfsig auf die Neuzeit überträgt und die Bedeutung des neuen internationalen Rechts aufserdem vielfach auch unterschätzt, ist sie einer wirklichen Herrschaft des Völkerrechts oft eher hinderlich als förderlich gewesen. Denn unter dem von ihr vorgetragenen alten Völkerrecht in seiner künstlichen Aufbauschung verbirgt sich vieles, was in Wirklichkeit gar keinen Rechtscharakter trägt, so dafs man mit der Behauptung solcher verlorener juristischer Posten nur Wasser auf die Mühle der Leugner des Völkerrechts trägt.

Im übrigen unterliegt es, wie gesagt, keinem Zweifel. dafs auch im Gebiete des politischen Völkerrechts Fortschritte gemacht worden sind und dafs weitere Fortschritte auch hier folgen werden und müssen. Eine Vervollkommnung ist hier vielleicht sogar nötiger, als irgendwo anders. Nur sind Fortschritte eben auf diesem Gebiet viel schwerer zu erreichen, als im Gebiete des „Weltverkehrsrechts." Man kann und darf kaum hoffen, dafs das Recht hier so bald über politische Machenschaften den Sieg davon tragen werde.

Aber gerade deshalb ist es eben so notwendig, sich klar zu machen, dafs der Schwerpunkt des internationalrechtlichen Fortschritts denn doch nicht mehr auf diesem politischen Gebiet zu suchen ist, dafs die Fortbildungsbestrebungen nicht auf dieses Gebiet angewiesen sind. Im Gegenteil gehört alles, was lediglich politischer Natur ist, eigentlich in das Gebiet der auswärtigen Politik und überhaupt nicht in das Völkerrecht. So einfach diese Wahrheit ist, so wenig lebt man ihr aber bis jetzt nach. Es ist auch dies v. MarNippold, Verfahren.

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tens 20 als Verdienst anzurechnen, dafs er, indem er die Gegenstände der internationalen Verwaltungstätigkeit in politische Angelegenheiten und sozial-kulturelle Beziehungen einteilt 21, ausdrücklich darauf hinweist, dafs die ersteren im Völkerrecht nicht berücksichtigt zu werden brauchen, da sie in das Gebiet der auswärtigen Politik gehören.

Aus der Tatsache, dafs es schwierig ist, auf politischem Gebiet dem Recht zum Siege zu verhelfen 22, darf man aber keinesfalls ohne weiteres Schlüsse auf das neue Völkerrecht ziehen. Ich habe im Gegenteil schon betont und hoffe im folgenden noch zu zeigen, dafs die Bedeutung dieser neuen Richtung für das internationale Recht gerade darin liegt, dafs die Politik hier in den Hintergrund tritt, so dafs eine Herrschaft des Rechts hier schon aus diesem Grunde eher möglich, leichter erreichbar erscheint - gewifs für sich allein schon ein Grund, das neue Völkerrecht nicht zu unterschätzen. Dafselbe ist nicht nur nach Form und Inhalt neu, sondern es ist auch neu in seiner selbständigen Bedeutung gegenüber den politischen Sonderinteressen und bietet so eine Grundlage,

20 v. Martens, Völkerrecht, Bd. 2, S. 10. Vgl. übrigens auch v. Bulmerincq im Handbuch des Völkerrechts, Bd. 4, S. 1: „In ein System des Rechts wie das Völkerrecht gehören indes nur die rechtlichen Verhältnisse und kann auch in diesen nur das Rechtsprinzip die Herrschaft beanspruchen, während die auswärtigen politischen Staatenverhältnisse in das System der äufseren Politik hineingehören, für welches ein oder mehrere politische Prinzipien mafsgebend sein können."

21 Es entspricht dies seiner Einteilung der Verträge. Martens betont übrigens auch bei jeder Gelegenheit die vertragsmässige Basis dessen, was er „internationale Verwaltung“ nennt. Die sozial-kulturellen Beziehungen werden nach Martens erzeugt durch die geistigen Interessen, das physische und wirtschaftliche Leben der Nationen, endlich durch die Privatrechtsgeschäfte unter den Angehörigen verschiedener Staaten und die Forderungen, die die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung an die Staaten stellt.

22 Man mufs froh sein, wenn das Recht vorläufig wenigstens auf einigen Gebieten zur Herrschaft gelangt. Aber man darf anderseits hoffen, dafs die anderen Gebiete mit der Zeit von selbst folgen werden. Das erscheint in der Natur der Dinge, und speziell auch in der Entwicklung des Verkehrs begründet.

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