müssen: eine allgemeine, sondern auch: eine moralische Wahrheit. Lebensre gel braucht zwar die Bemerkung nicht zu seyn; aber doch mufs sie die moralische Seite des Menschen treffen, sie mufs für ihn lehrreich und heilsam werden können. Zweitens: Mufs uns die Wahrheit nothwendig in einem Bilde gegeben werden? Nothwendig! Denn die blofse Wahrheit, trocken hingeschrieben, wäre nur Sentenz, Maxime, Reflexion, weiter nichts, Aber sollte auch wohl der unbestimmte Aus druck: Bild, schon genug sagen? Merops. Ich mufs dich doch etwas fragen, sprach ein junger Adler zu einem tiefsinnigen, grundgelehrten Uhu. Man sagt, es gäbe einen Vogel mit Namen Merops, der, wenn er in die Luft steige, mit dem Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde gekehrt, fliege. Ist das wahr? Ei nicht doch! antwortete der Uhu; das ist Engels Schriften XI. 4 eine alberne Erdichtung des Menschen. Er mag selbst ein solcher Merops seyn: weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen mögte, ohne die Erde auch nur einen Augenblick aus dem Gesichte zu verlieren. [Ist von Lessing.] Hier haben wir ganz gewifs ein Bild; aber haben wir eine Fabel? In den. vorigen Stücken ward uns das Erdichtete als wirklich geschehen erzählt; hier hin gegen giebt man es für nichts als Erdichtung. Dieses, empfinden wir, sollte nicht seyn; die Wirklichkeit ist zur Fabel noth wendig, und wir wollen also statt Bild lieber Factum sagen. Doch gesetzt nun auch, dafs wir dem Merops die Wirklichkeit gäben, und den Uhu für: Ei nicht doch! sagen liefsen:,,Ei ja doch!" würde das Stück dann zur Fabel? Es bliebe noch immer ein blofses Gleichnifs, in welches der Dichter durch seinen Witz und Scharfsinn die Wahrheit erst hineintrüge, anstatt das sie von selbst aus dem Factum hervorfallen, sich uns gleichsam freiwillig darbieten sollte. Also auch nicht Factum wollen wir sagen, sondern: ein für wirkliche Geschichte gegebenes Beispiel. Dals es Handlung sey, ist so nothwendig nicht; denn folgende Fabel ist gewils eine echte und gute Fabel, ob sie gleich nur eine blofse Folge von Begebenheiten enthält, die der Dichter unter Einen Gesichtspunct sammelt. Der Hirsch, der sich im Wasser besieht, Ein Hirsch bewunderte sein prächtiges Geweih Im Spiegel einer klaren Quelle. Wie schön es steht! sprach er. Recht auf der selben Stelle Wo Königskronen stehn! und wie so stolz! so frei! Vollkommen ist mein ganzer Leib; allein Die Beine sind es nicht, die sollten stärker seyn. Indem er sie besieht mit ernstlichem Gesicht, Hört er im nahen Busch ein Jägerhorn erschallen, Merkt auf, sieht eine Jagd von dem Gebirge Sie reifsen, wie ein Pfeil, die prächtige Gestalt Mit sich durch flaches Feld, und fliehen in den Wald. Da aber halten ihn, im vogelschnellen Lauf, An starken Zweigen oft die vierzehn Enden auf. Er reifst sich los, er flucht darauf, Lobt seine Beine nun; und lernet noch im Fliehn Das Nützliche dem Schönen vorzuziehn. GLEIM. Drittens: Muls eine jede Fabel nothwendig in erzählender Form seyn? Man sehe hier gleich eine in dialogischer Form. Die Katze; die alte Maus; die junge Maus. Katze. Du allerliebstes kleines Thier! Komm doch ein wenig her zn mir. Ich bin dir gar zu gut. Komm, dass ich dich Sind alle dein, wenn ich dich einmal küsse. O Mutter, höre doch, wie sie so freundlich spricht! Ich geh Alte Maus. Kind, gehe nicht! Katze. Auch dieses Zuckerbrot und andre schöne Sachen Geb' ich dir, wenn du kömmst. Junge Maus. Was soll ich machen? O Mutter, lafs mich gehn! |