Sivut kuvina
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um ihn erst zu fassen und auszudenken; wie bei zärtlichen lieblichen Empfindungen mit einem mittlern Grade der Geschwindigkeit von Idee zu Idee sanft fortgeschritten wird: so wird auch durch die Beschaffenheit der Füfse, durch die Länge oder Kürze der Zeilen und Strophen, durch 'die Stellung der Einschnitte und den Bau der poetischen Perioden, ein ähnlicher Gang in die Rede gebracht; und die Seele bekömmt das nehmliche der abgezweckten Empfindung zusagende Mals von Geschwindigkeit in die Reihe ihrer Vorstel- . lungen, das sie durch das Ohr in den Tönen findet. Ein weiteres Nachdenken wird hier eine erstaunlich mannichfaltige Übereinstimmung entdecken lehren; obgleich freilich der Ausdruck den das blofse Sylbenmals giebt, eben wie der musikalische bei Ermangelung eines Textes, noch

immer ziemlich unbestimmt und allgemein

bleibt.

Es kann nicht ganz am unrechten Ort scheinen, dass wir hier auf das Sylbenmass zurückgekommen sind: denn da der Grundstoff des Lehrgedichts nicht eigentlich poetisch, da der Boden, so zu reden, dürre und unfruchtbar ist, und erst durch Cultur und Industrie reizend und ergiebig gemacht wird; so kann diese Dichtungsart in der That das Sylbenmass, sowie alle andere Hülfsmittel zur Bewirkung grösserer Lebhaftigkeit, weniger als andere entbeliren.

Aus dem Bishergesagten müssen sich alle Regeln für die Lehrgedichte herleiten lassen: die für die Wahl der Materie, und die für die Behandlung derselben.

Überall nicht zu wählen sind solche

Wahrheiten, die ohne ihre trockne Allge

meinheit gar nicht können gefafst, ohne die langsame philosophische Methode, die von Merkmaal zu Merkmaal, von Satz zu Satz bedächtig fortschreitet, gar nicht können erörtert und zur Überzeugung gebracht werden. Die Elemente des Euklides, die Wahrheiten der Logik, der Ontologie, der allgemeinen Naturlehre, sind von dieser Art; und Lucrez ist also mit Recht getadelt worden, dafs er einen zu metaphysischen Stoff genommen hat, bei dem sich sein wirklich dichterisches Genie fast nicht anders, als in Nebensachen und gelegentlichen Ausschweifungen zeigen konnte.

Vorzüglich zu wählen sind die weniger abstracten, vom Sinnlichen weniger entlegenen Wahrheiten, die sowohl in ihrem Innern an Ideen reichhaltiger sind, als auch eher das Leben und die Schön

beiten annehmen, die der Dichter durch seinen Vortrag hinzuthut. Ein Gegenstand ohne alle natürliche Schönheit verschmäht die Bemühungen der Kunst; aber wenn schon Reize da sind, so kann die Kunst sie wirksamer und hervorstechender machen. Dies ist der Fall mit den Regeln verschiedner sowohl der nützlichen als der schönen Künste, die daher auch von alten und neuen Lehrdichtern fleissig und mit Erfolg sind bearbeitet worden. Den ersten Rang aber verdienen diejenigen Wahrheiten, die mit jenen Vortheilen noch diesen verbinden, dass ihre Erkenntnifs und Ausübung zu unserer höchsten innern Glückseligkeit unentbehrlich ist, und dafs sich diese ihre Beziehung auf unsre Glückseligkeit unmittelbar ankündigt. Dies ist der Vorzug der moralischen Wahrheiten aus der Philosophie des Lebens, sowie

auch der grofsen philosophischen Wahrheiten von Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit der Seele, u. s. f. In neuern Zeiten, wo durch die Bemühungen der Weltweisen diese wichtigen Gegenstände in ein so helles Licht gesetzt worden sind, hat man daher eben sie am öftersten: bearbeitet, und hat darüber fast, ganz die sogenannten Kunstgedichte vernachlässigt, die freilich nie ein so grofses und so allgemeines Interesse erwecken. Doch hat diese Vernachlässigung ohne Zweifel noch andre mehr subjective Ursachen; denn die Dichter leben heutigestags in zu weniger Gemeinschaft mit Arbeitern und Künstlern, als dafs die Begriffe von den Verrichtungen derselben ihnen hinlänglich ge. läufig und interessant werden könnten.

Auch das lässt sich hier noch bemerken: dass es rathsamer ist, Materien von

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