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Sechstes Hauptstück.

Von dem beschreibenden Gedichte.

Der Dichter beschreibt, wenn er uns von irgend einem Gegenstande die Theile oder Merkmahle oder Veränderungen einzeln nach einander angibt. Wozu braucht er das aber? Warum nennt er uns nicht schlechtweg das Ganze, wenn nur die Spra che ein Wort dafür hat?

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Zuerst kann es kommen, daß wir die Sache,, die das Wort andeutet, noch nie gesehen, nie ers fahren haben. Klopstock z. B. erdichtet Geschlecht von Menschen, die auf einer andern Orde leben und im Stande der Unschuld verharrt sind. Der Stammvater derfelben erzählt ihnen von uns, die wir unsere Unschuld und mit ihr das Vorrecht der Unsterblichkeit verloren haben. Sterben ist für diese Glücklichen ein Wort ohne Bedeutung; und wenn also der Stammvater will, daß sie von dem Fürchterlichen der Sache gerührt werden, und ihren Vorzug vor uns empfinden solen, so muß er ihnen durch Beschreibung einen Begriff davon machen:

Dem Sterbenden brechen die Augen, und flarren, Sehen nicht mehr. Ihm schwindet das Antliß der Erd' und des Himmels

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Tief in die Nacht. Er hört nicht mehr die Stimme des

Menschen,

Noch die, zärtliche Klage der Freundschaft. Er selbst kann nicht reden;

Kaum mit bebender Zunge den bangen Abschied noch flam

meln;

Athmet tiefer herauf; und kalter ångfilicher Schweiß läuft Ueber sein Antliß; das Herz schlågt langsam; dann ftets; dann stirbt er!

Messias, Gef. 5.

Zweytens kann der Gegenstand, den das Wort andeutet, zwar bekannt seyn; aber die Vorstellung davon ist in der Seele des Lesers nur im Ganzen klar: fie enthält zwar schon alle einzelne Merkmahle, aber sie enthält fie verworren und dunkel. Und wenn nun dem Dichter die klare Vorstellung des Ganzen zu seinem Zwecke nicht genügt; wenn es ihm auf die Beachtung gewiffer besonderer Merkmahle ankommt: was bleibt ihm übrig, als diese Merkmahle besonders anzugeben, und also eine Bes schreibung zu machen? So gibt uns Ramlerin seiner Ode „der Triumph“ eine kurze Beschreibung von Frankreich:

Gallien, das an zwey Meeren thront,
Dessen Fahnen und Wimpel

Unter allen Himmeln wehn;

nicht, als ob wir das nicht schon wüßten, sondern weil der Dichter will, daß wir unter den übrigen Merkmahlen gerade auf diese am meisten Acht haben sollen. Hörten wir bloß den Nahmen Frankreich, fo möchten wir vielleicht eine ganz andere Seite des

selben faffen; wir möchten uns, ganz gegen den jezigen Zweck des Dichters, darunter denken (gleichfalls von Ramler)

das verarmte Land,

Wo der fingende Winzer

Seine Traube für Fremde preßt.

Drittens hat die Sprache für so wenige nåher bestimmte Unterarten von Dingen besondere Wörter. Sie besteht fast ganz aus `Zeichen sehr ab-.. stracter Begriffe, wie: Roß, Schwert, Baum, Strom u. f. w. Wenn also auch hier wieder der allgemeine Begriff der Gattung dem Dichter nicht hinlänglich scheint; wenn er will, daß wir uns speciellere Merkmahle mit den allgemeinen verbunden denken: was kann er thun, als diese speciellen Merkmahle besonders angeben, d. h. beschreiben ?So verbindet Kleist die Merkmahle des Stolzes, des Muthes, der Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit dem allgemeinen Begriffe des Rosses, damit wir nicht etwa auf die Vorstellung eines Donquis schotischen Rosinante fallen:

Sein Noß war ftolz, wie er;

Es schien die Erde zu verachten: kaum
Berührt' es sie mit leichten Füßen; schnob
Und wieherte zu der Trompete Klang,
> Und forderte zum Kampf heraus, wie er.

Es gibt also, wie es scheint, einen dreyfas chen Gebrauch der Beschreibung. Entweder soll die Idee irgend eines unbekannten Gauzen durch die

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