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chen Handlungen kann oft nur ein einziger fimpler Charakter-Zug durch seinen Adel, feine Schönheit und Größe gefallen. So in dem Liede,,vom braven Manne," einem der vorzüglichsten Stücke une sers Dichters, wo die Thätigkeit nur Eine ist; denn daß sie mehrmahls wiederhohlt wird, vervielfacht nicht die Glieder der Handlung: es ist der nähmliche bleibende, aber durch seinen auss nehmenden Adel äußerst rührende Beweggrund, der die dreyfache That hervor bringt. Auch bloße Nebenpersonen, wie in unserer Romanze die 3ofe, oder Junker Plump, die nur einmahl, nur auf Augenblicke erscheinen, können freylich ihre Cha= raktere nicht ganz entwickeln; und eigene Episodenanzulegen, um zu dieser Entwickelung Raum zu gewinnen, würde den Eindruck der Haupthandlung schwächen.

Wenn denn aber, könnte man denken, cine harmonische Mannigfaltigkeit der Züge die Chas raktere dichterisch macht; so müßte derjenige Cha rakter der am meisten dichterische seyn, welcher so viele Eigenschaften verbände, als immer möglich : und das würde gerade der, der alles wäre, ohne irgend etwas so recht zu seyn; der bald so dächte, bald anders, bald wollte, bald nicht wollte; der immer nichts durch sich selbst, alles nur durch die Umstände wäre, von denen er sich in allerley Gestalten bilden, in allerley Directionen, bald dahin, bald dorthin, treiben ließe. Man sagt hierauf ganz recht: daß so ein Charakter eigentlich gar kein Charakter sey; aber wie, wenn also gar

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kein Charakter der beffere, der für die Dichtkunst brauchbarere wäre? Wozu überhaupt ein Charakter; wozu das Consistente und Feste, weun uns das Weiche und Schlaffe vortheilhafter, nüglicher ist? Oder sagt uns vielleicht alle unsere Erfahrung, daß keine so weiche, unsichere, schwantende Sinnesart jemahls wirklich gewesen sey? Sie sagt uns wohl eher das Gegentheil; aber damit ist der Dichter, der eine solche Sinnesart schildert, noch nicht gerechtfertigt: es frägt sich zuvor, ob er Wirkung damit hervor bringen, ob er intereffiren könne? Ein so schwacher, in Empfindungen und Entschließungen so schlaffer, wandelbarer Mensch ist keiner lebendigen Eindrücke und Begierden, die er uns mittheilen könnte, keiner festen Absichten und Entwürfe, in die er uns mit hinein zöge, fähig: es fällt also alle wärmere Theilnehmung an seinem Echicksale weg; er kann in einem Werke höchstens nur als Neben, als Mittelsperson figuriren. Dazu kömmt noch eine andere Betrachtung; diese: daß bey einem so unbestimmten Charakter die Zukunft nun um eben so viel zu dunkel wird, als sie bey dem allzu be. stimmten einförmigen zu hell ward, und wir also bey jenem noch mehr, als bey diesem, das Vergnügen der unruhigen Vorhersehung entbehren; ein Vergnügen, welches doch pragmatischen Werken ihren schönsten Reig, ihr größtes und eigenthüm lichstes Verdienst gibt.

Ein zweyter Blick auf die Charaktere unfes 1er beyden Liebenden wird uns bald, außer ihrer

innern Möglichkeit, eine noch andere, nicht minder merkwürdige Eigenschaft an ihnen zeigen. Carl und Gertrude find beyde jung, beyde von edeln und stolzen Häufern; jener ist Mann, diese Mädș chen. Wir würden es sonderbar finden, wenn sie bey ihrer Jugend mehr kalt als feurig, mehr tråge als rasch, mehr bedächtig als unbesonnen wären; wenn sie bey ihrer edeln Herkunft mehr eine friechende als eine stolze Denkungsart dußerten; oder wenn sie ihre beyderseitigen Rollen wechselten, der Mann zaghaft, das Mädchen beherzt, jener zus rückhaltend, diefes ungestüm wäre. Von jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte haben wir gewisse Gattungsbegriffe festgesezt, die wir in den einzelnen Individuen wieder zu finden erwarten; und obgleich Ausnahmen von der Gattung möglich find, so find fie doch immer weniger wahrscheinlich, als die unter der Regel begriffe= nen Fälle. Die Ideen von diesen legtern nehmen wir leichter an; wir bilden sie, eben wegen ihrer Harmonie mit den schon vorhandenen Ideen, weit schneller, laffen uns weit eher von ihnen täuschen. Wenn daher die eigenthümliche Beschaffenheit der Fabel nicht ausdrücklich das Ungewöhnliche, das Außerordentliche fordert; so wird der Dichter wohlthun, die Gattungsbegriffe ungekränkt zu lassen, und seine Erfindungskraft, seine Originalität, so wie Shakspeare und die Natur, mehr durch Abänderung der gewöhnlichen, als durch Bildung grotesker Formen zu zeigen. Das Nähmliche gilt yon Nationen, Zeitaltern, Himmelsstrichen v. f. f.:

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denn auch von diesen haben wir Begriffe bey uns festgescht, die wir nicht ohne Befremden vermiffen; obgleich freylich ein Mensch sein Volk, sein Jahr= hundert, sein Geschlecht übertreffen, oder doch fonft mannigfaltig von der Regel abweichen kann. Selbst dieses Uebertreffen und Abweichen aber hat denn doch seine Grade, die wir wenigstens fühlen, wenn wir fie auch nicht angeben können. Am firengsten wird der Dichter, in Ansehung der äußern Sitten, der Künste, der Gebräuche einer Nation, in so fern dieselben ausgemacht und bekannt sind, verfahren müssen: denn auch im unbekannteren Costume eine zu gelehrte Genauigkeit zu fordern, wäre pedantisch.

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Charakter ift Inbegriff der Fähigkeiten, der Neigungen eines moralischen Wesens; aber Fåhigkeiten sind noch nicht wirkliche Kraftdußerungen, Neigungen noch nicht Begierden: also ist mit dem Charakter noch nichts, als bloß die Möglichkeit einer Handlung erfunden. Soll wirklich Handlung entstehen; so müssen die Kräfte Gelegenheiten finș den, die fie ins Spiel segen; den Neigungen müssen sich individuelle Objecte darbiethen, die fie in Begierden verwandeln. Es gibt der menschli» chen Neigungen mancherley; eben so mancherley, als Güter und Uebel; aber nicht alle erwecken unsere Theilnehmung in gleichem Grade. Je geis ftiger die Güter oder die Uebel find; je weniger die Begierden thierischen Juftinct, je mehr fie menschliches Empfindniß voraus sehen: desto mehr lassen wir uns in diefelben çin; aus dem ganz ein

fächen Grunde: weil wir uns um so klarere und vollständigere Ideen von ihnen bilden. So war in unserer Romanze die Liebe des Ritters und seines Fräuleins beschaffen eine Liebe, von der es sich leicht verräth, daß sie mehr als thierischer Trieb daß fie feineres Bedürfniß des Herzens fey; und die uns noch über dieß, nach allen Umstånden, als eine erlaubte, selbst als eine lobenswürdige Leis denschaft erscheint.

Doch dieses allein ist es noch nicht, was unfer ganzes Interesse an dieser Liebe bewirkt, Denn, dürfte die Begierde beyder Liebenden nur den gewöhn lichen gebahnten Weg gehen; wären Alle, die in die Sache zu reden haben, eben so zufrieden mit ihrer Bereinigung, wie sie selbst; brauchte es zur Befriedigung ihrer Leidenschaft nur ganz einfache, leichte, von selbst sich darbiethende Thätigkeiten: fo würde uns dieser alltägliche Liebeshandel eben so viel Ueberdruß, als jezt Vergnügen, machen. Hingegen, daß der Vater fich dieser Liebe schlech terdings widerseßt; daß er der Tochter einen andern unwürdigen Liebhaber aufdringen will, den ihr Herz verabscheuet; daß dem Ritter nichts anders übrig bleibt, als eine nächtliche gefahrvolle Entführung; kurz, daß sich bey der Befriedigung dieser Leidenschaft so große Hindernisse ereignen, welchen zu begegnen so schwer ist: das hält unsere Aufmerksamkeit auf diese Geschichte so gespannt; erwärmt uns für die Sache der beyden Liebenden so sehr; gibt der ganzen Handlung ihren dichteris schen Werth, ihre Schönheit. Erst da die Lieben

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