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Gotteswort, sondern als Menschenwort anhören, und deßwegen auch nicht in ihrem Herzen behalten.

Einige machen an dem Wort Gottes die Ausstellung und sagen: „Man predigt uns Jahr aus Jahr ein immer die alten Wahrheiten, und wiederholt hundert und tausend Mal schon längst bekannte Lehren. Man predigt alleweil einerlei, bringt beständig das Alte vor; man sagt uns nichts Andres, als was wir schon in unsrer Jugend gehört haben." Aber das ist schon eine alte Klag, welche man bereits zu den Zeiten der Apostel gehört hat. Der h. Apostel Johannes predigte zu Ephesus immer von der Nächstenliebe. Endlich wurden einige von seinen Zuhörern deß überdrüssig und beschwerten sich bei ihm mit der Frage: „Lehrer, warum sagst du denn gar immer das Alte?" Da gab ihnen der Apostel die merkwürdige Antwort: „Ich höre nicht auf, euch zu ermahnen, das Gebot der Nächstenliebe zu beobachten, weil es das Gebot des Herrn ist, und wenn dieses beobachtet wird, so ist es genug." Die Priester predigen euch immer das Alte, sagen und lehren nur das, was Jesus Christus und seine Apostel schon vor achtzehnhundert Jahren gesagt und gelehrt haben. Eine Predigt ist ja nicht blos für's Wissen, sondern hauptsächlich für's Thun, und wenn die Zuhörer das thun, was sie in der Predigt gehört haben, so ist es genug. Jesus spricht ja im heutigen Evan

gelium nicht sowohl diejenigen selig, die das Wort Gottes blos anhören, sondern jene, die es auch befolgen.

Ja, sagen wieder Andere: man macht die Sache auf der Kanzel allzeit weit größer und ärger als fie ist. Allein, in welchen Stücken übertreibt man denn die Sache auf der Kanzel? Nur in jenen Stücken ist man zu streng oder zu scharf, die unsere bösen Leidenschaften betreffen, unsere Sünden und Fehler angehen. In jenen aber, die nicht uns, sondern Andre angehen, lieben wir die Strenge und Schärfe des Predigers. Wenn z. B. der Prediger von Geiz, Neid, Habsucht, Unkeuschheit, Zorn, Rachsucht, Trunkenheit, Ehrabschneidung redet, so werden die Geizigen, Neidigen, Habsüchtigen, Unkeuschen, Zornmüthigen, Rachsüchtigen, Vollsäufer, Ehrabschneider sagen: das ist zu weit gegangen, das ist übertrieben, das ist nicht nach dem Evangelium, das ge= hört nicht auf die Kanzel. Hingegen diejenigen, welche von diesen Lastern frei sind, werden sagen: ja, der Prediger hat Recht, das ist die gerade lautere Wahrheit, das ist ganz nach dem Evangelium, der Priester hat noch zu wenig gesagt.

Es ist also nicht der Prediger, welcher die Sache auf der Kanzel übertreibt, sondern die böse Leidenschaft ist es, welcher die Wahrheit zu übertrieben erscheint. Die böse Leidenschaft gleicht einem Men

schen, der ein bösartiges schmerzhaftes Geschwür am Leibe hat, und gleich zu schreien anfängt, sobald man dasselbe berührt. Man läßt dem Wort Got= tes schon Gerechtigkeit widerfahren, wenn es fremde Fehler ergreift, da ist die Lehre allzeit wahr. Wenn fie aber unsre eignen Fehler berührt, dann ist die Lehre gleich falsch und übertrieben. Schlagen wir nur das Evangelium auf, so werden wir gleich sehen, daß Christus und seine Apostel weit strenger und schärfer geredet haben, als der strengste und schärfste Prediger redet. Wem also eine Predigt zu streng oder zu scharf ist, der muß nicht den Prediger, sondern Jesum Christum und seine Apostel anklagen, welche diese Lehren und Grundsäge vorgeschrieben haben; er muß die ersten Christen anklagen, die uns alles Dieses durch ihr Beispiel gelehrt haben; er muß sich selbst anklagen, weil ein jeder Christ in der h. Taufe durch seinen Taufpathen versprochen hat, diese Grundregeln zu glauben und zu befolgen. Ich fürchte nicht, daß mir einmal der göttliche Richter vorwerfen wird, ich habe zu streng oder zu scharf gepredigt; aber ich fürchte, er möchte mich einstens verstoßen, daß ich ein leichteres Evangelium ge= predigt habe, als er gelehrt und gepredigt hat.

Viele halten aber das Wort Gottes, welches in den Predigten vorgetragen wird, nur für ein bloßes Menschenwort. Sie gehen in die Predigt, weil es

einmal so der Brauch ist, weil auch Andre gehen, oder aus Gewohnheit, weil sie ohnehin zum pfarrlichen Gottesdienst kommen; oder aus Langweil, weil ste sonst nichts zu thun wissen. Solche sind zwar mit dem Leib bei der Predigt; aber ihre Seele ist ohne Aufmerksamkeit und denkt auf ganz andre Dinge. Sie geben nur Acht, wenn der Prediger etwas Besondres, etwas Auffallendes vorträgt, oder wenn ein fremder Geistlicher predigt, welchen sie noch nie gehört haben, wo eben ihre Neugierd und ihr Vorwig mehr Nahrung findet. Und sie geben auch da nur Acht, um den Prediger zu kritisiren, aber nicht, um das, was gepredigt wird, zu befolgen und in Ausübung zu bringen. Sie hören das Wort Gottes zwar an, aber nicht als Gottes Wort, sondern nur als Menschenwort. Diese Leute sind recht zu bedauern; sie können an dem Wort Gottes unmöglich eine Freude und einen Nugen haben. Sie gehören nicht unter diejenigen, welche Jesus im heutigen Evangelium selig preist, wenn er sagt: „Selig sind, die Gottes Wort hören und es beobachten!"

Ich muß euch aber, meine Pfarrkinder, in Wahrheit das Zeugniß geben, daß ihr alle Sonntage fleißig bei der Predigt erscheint, und aus der Ruhe und Stille, mit welcher ihr jedesmal das Wort Gottes anhört, kann ich auch schließen, daß ihr gern

aufmerkt. Ich wünsche euch und mir Glück dazu; denn so wird die Predigt nicht ohne Nugen sein. Amen.

Frühlehre auf den vierten Sonntag in
der Fasten.

Wir sollen nach den himmlischen Gütern trachten, und Gott gibt uns die irdischen.

„Woher werden wir Brod zu kaufen

bekommen, daß alle diese Menschen zu
effen haben?"
Joh. 6, 5.

Philippus der Apostel fand nach dem heutigen Evangelium darin eine große Verlegenheit, daß in der Wüste fünftausend Mann, ohne die Weiber und Kinder mitzurechnen, gesättigt werden sollten; da doch der ganze Mundvorrath in nichts mehr als in fünf Brøden und zwei Fischen bestand. Unmöglich, dachte er, kann dieses Wenige für so Viele hinreichen. Allein, was dem guten Jünger Jesu eine Unmöglichkeit schien, das war der Wunderkraft Jesu ganz leicht. Er vermehrte Brod und Fische so in's Vielfache, daß selbst nach Sättigung so vieler tausend Menschen noch zwölf Körbe voll übrig blieben, sohin mehr, als vorhinein da war. In ähnlicher Lage machen es alle Menschen wie Philippus. Sobald sich Mangel

Dreer, Frühlehren. III.

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