4 den von mir untersuchten Chondrostei ist es nicht wahrscheinlich, dass sie wesentlich zur Klärung der Frage beigetragen haben würden. Bei der Präparation wurden, soweit es möglich war, die motorischen Nerven besonders beachtet. Die oft mangelhafte Erhaltung des Materials gestattete allerdings häufig kein so vollständiges Erkennen derselben, wie es wünschenswert gewesen wäre. Auf eine vergleichende Zusammenstellung der Innervationsbefunde habe ich deshalb verzichtet und führe nur im Zusammenhang mit der Darstellung der Muskeln die betreffenden Befunde an. Im Übrigen sei auf die Abbildungen verwiesen. Ein Übelstand, der sich in der nachfolgenden Darstellung geltend macht, ist der, dass keine einheitliche Terminologie der Muskeln durchgeführt ist. In der Regel kamen bisher gebräuchliche Bezeichnungen zur Anwendung. Nur hier und da, wo offenbar falsche Homologisierungen den bisher gebräuchlichen Namen zu Grunde lagen, wurden Änderungen eingeführt. Ich hielt es für richtiger die Durchführung einer einheitlichen Nomenklatur der Muskeln zu verschieben, bis ein besseres Urteil darüber gewonnen werden kann, in welchem Maasse die als „Temporalis“, „Masseter“ und „Pterygoideus' bezeichneten Derivate des Adductor mandibulae den so bezeichneten Muskeln der Mammalier entsprechen. 66 Das kostbare Material, welches der Untersuchung zu Grunde liegt, verdanke ich zum allergrössten Teil der grossen Liberalität des Herrn Geheimrat Prof. M. FÜRBRINGER in Heidelberg, welcher mir dasselbe zur Untersuchung nach Helsingfors sandte. Einen Kopf von Acipenser güldenstädti kaufte ich auf dem Markt in Helsingfors, ein anderer, sowie einige A. ruthenus, gehörten dem Zoologischen Museum in Helsingfors. Beim Abschluss des Manuskripts hatte ich in Heidelberg, dank dem freundlichen Entgegenkommen des Vorstands des Anatomischen Instituts daselbst, Herrn Prof. H. BRAUS, Gelegenheit einige Punkte an dem inzwischen zurückgesandten Material nachzuprüfen. Schliesslich stellte Herr Prof. R. GOLDSCHMIDT in München eine 15 1/2 mm lange CeratodusLarve zu meiner Verfügung und gestattete mir im Zool. Institut der Universität München dieselbe zu bearbeiten. Allen den genannten Herren spreche ich hiermit meinen herzlichen Dank aus! Allgemeiner Teil. Constrictor I dorsalis. Chondrostei. Als Derivat des Constrictor I dorsalis finden wir bei den Chondrostei, wie schon VETTER (1878 p. 484) richtig erkannte, den M. protractor hyomandibularis (vgl. c,dhm Textf. 1, 2 und 3), von dem VETTER (1. c. p. 473 u. t. XII fig. 2 und 4 Ph) für Acipenser sturio folgende gute Beschreibung giebt, welche auch für A. güldenstädti und A. ruthenus gilt: „Aus der tiefen Grube, welche als Fortsetzung der Augenhöhle nach hinten an der Seite des Craniums bis zum Hyomandibulare sich erstreckt und durch die lateral vorragenden Schädeldeckknochen noch erheblich vergrössert wird, entspringt von knöchernen 1 wie knorpligen Theilen breit und mächtig [durchweg fleischig] diese rundliche Muskelmasse, vorn oben noch bis über den ganzen Bulbus und dessen Muskeln vorgreifend; dieselbe verläuft mit parallelen Fasern nach unten und hinten und inseriert sich [an der Oberfläche stellenweise sehnig] an der ganzen vordern, von unten nach oben breiter werdenden Fläche des Hyomandibulare, mit Ausnahme blos der untersten Ecke und des obern Gelenkendes". 2 Hiermit stimmen die Verhältnisse bei Scaphirhynchus (vgl. auch BRUTZER 1859 p. 19 M. protrahens suspensorii t. II, f. 2 b) in allen wesentlichen Punkten überein, nur ist der Muskel hier im Querschnitt mehr dreieckig, mit ventralwärts gerichteter scharfer Kante, was mit der Abplattung des Kopfes im Zusammanhang stehen dürfte. 1 Genauer genommen beginnt der Ursprung vorn dorsal vom Auge an der Innenseite des Frontale (medialwärts bis zur Mitte desselben reichend), dem Supraorbitale (an dessen vorderer Hälfte) und einem Teil des Postfrontale (Postorbitale) und greift caudalwärts auf das Knorpelkranium über, wo die Ursprungsfläche ventral vom Labyrint liegt und bis medial vom Hyomandibulare und an den Austritt des N. VII reicht. 2 Von mir gemachte Zusätze sind eingeklammert [], und haben zunächst auf A. güldenstädti und A. ruthenus bezug. 1 ppl Ant mx hm. Hyomandibulare, ih. Interhyale, am iop. Interoperculum, knl. Knorpelleiste, nçdhm sp gdhm çdhm 1 " Varm Civa WIm sy ih Textf. 1. Acipenser güldenstädti. Muskeln des Kieferapparats und des Hyalbogens von der Seite gesehen. Kiefer vorgestossen. Das Kranium wurde der grösseren Übersichtlichkeit halber nicht dargestellt (mit Ausnahme der Knorpelleiste knl). Knorpel punktiert, Knochen durch schwach gebogene, Sehnen und Ligamente durch gerade Strichelung bezeichnet. Für die Figg. 1-3 gelten folgende Bezeichnungen: am. mx. Maxillare, Adductor mandibulae, ams. Add. mand. symphysialis, ep. Epiphyse, c,dhm. Protractor hyomandíbularis, C1 + 2 va. Constrictor 1+2 ventralis anterior, d. Dentale, h. Hyale, -hm sp. Spiraculum, sy. Symplecticum, ok nc,dhm. N. des Protractor hyomandibularis, ppl. Parapalatinum, so. Suborbitale, Da der Muskel bei dem Vorstrecken der Kiefer eine grosse Rolle spielt, sei der bei diesem Vorstrecken tätige Apparat hier etwas näher erörtert. Bei der in Rede stehenden Bewegung spielt, wie schon BRUTZER (1859 p. 22), VETTER (1879 p. 474) PARKER (1882 p. 146) u. A. erkannten, das Hyomandibulare die grösste Rolle. Durch die Kontraction des Protractor hyomandibularis wird das untere Ende dieses Skeletstücks (vgl. Textf. 1 hm) rostralwärts gezogen und gleichzeitig etwas lateralwärts abduziert, durch den Retractor hyomandibularis retrahiert und adduziert. Betrachten wir die durch die Kranio-Hyomandibular-Verbindung und die Hyomandibulare-SymplecticumInterhyale-Verbindungen gehende Linie als die Hauptachse des Kieferstiels, so besitzt derselbe einen starken, dreieckigen, caudalen Vorsprung (ok), den Operakularknopf v. WIJHE'S (1882 p. 20, f. 1 ok), der dem Rückziehmuskel (c,dhm) gute Angriffspunkte bietet und vermutlich diesem sein Dasein verdankt. Das Symplecticum (sy) ist sehr stark. Bei der Protraction des Kieferstiels wird dasselbe vorwärts geschoben, und diese Bewegung wird durch die Verbindung mit dem Palatoquadratum auf den Kieferapparat übertragen. Da dieser nicht in der Richtung des Stosses rostralwärts rücken kann, gleitet er ventral- und etwas rostralwärts längs der schiefen Ebene, die gebildet wird, einerseits durch die Oberkiefer und die von PARKER (1882, p. 164) als Metapterygoid bezeichnete gegliederte Knorpelplatte (unpaarer Gaumenknorpel J. MÜLLER), für die ich zur Vermeidung von Verwechslungen den nichts antizipierenden Namen Parapalatinum (ppl) vorschlage, andrerseits durch eine Leiste am Knorpelkranium (Textf. 1 knl) und ein von einer sehni ор hm cdhmc+va so gen Scheide umgebenes, Textf. 2. Acipenser ruthenus. Kopf von der Seite, Bezeichnungen wie in dem Kranium anliegen- Fig. 1. Kiefer in der Ruhelage. des Fettpolster. Die Palatoquadrata rücken dabei ganz aus dem Bereich des Schädels. Nur das Parapalatinum bleibt in dem Bereich desselben. Ähnlich wie die Palatobasalfortsätze der Haie eine Führung bilden, längs welcher der vorgestreckte Kieferapparat in seine Ruhelage zurückgleitet, so dirigiert auch der Parapalatinknorpel den Kieferapparat zurück 1. Bei der Protraction des Kieferapparats dürfte der Protractor hyomandibularis durch die Mm. coracoarcuales und Branchio-mandibulares (Textf. 21-23 brm) unterstützt 1 Es wäre denkbar, dass der in Rede stehende Knorpel bez. Knorpelkomplex durch Umbildung von Palatobasalfortsätzen entstand, oder dass er sonst aus einer Abgliederung vom Palatoquadratum hervorging, vgl. als Analogie die kleine Abgliederung am vorderen Ende des Palatoquadratum von Scymnus (GEGENBAUR 1872 t. XI f. 1 P). Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser Frage, vor allen Dingen embryo-. logische Facta, fehlen jedoch. werden. Bei der Retraction werden neben dem Retractor hyomandibularis auch die ventralen Constrictoren (vgl. unten!) eine Rolle spielen. Es wurde schon erwähnt, dass der Protractor hyomandibularis neben der soeben erörterten Funktion der Protrusion des Kieferapparats auch das Hyomandibulare abduziert. Dadurch gewinnt er eine Bedeutung für die Bewegungen des Kiemendeckels (vgl. VETTER 1. c.). Suchen wir uns nun ein Bild von den Umformungen, die der Muskel durchgemacht hat, und von ihren Ursachen zu machen, so kommen folgende Umstände zunächst in Betracht. Während bei den Selachiern der Constrictor 1 dorsalis (C,d) in der Regel am Palatoquadratum inseriert, hat er bei stark abgeplatteten Formen (Pristiophorus, Squatina, Rochen) mit einem Teil seiner Fasern an dem Hyomandibulare einen neuen Ansatz gewonnen. Diese Überwanderung geschah offenbar im Zusammenhang mit dem eigentümlichen Atmungsmodus (Inspiration durch das Spritzloch), den wir wenigstens bei Squatina und den Rochen, vermutlich aber auch bei Pristiophorus, in Anpassung an das Leben am Boden finden (LUTHER 1909 a p. 13-15). Es ist wahrscheinlich, dass Beziehungen zum Spritzloch auch bei den Chondrostei zuerst eine Insertion von Fasern des Levator palatoquadrati am Hyomandibulare herbeiführten. Die neuerworbene Insertion am Hyomandibulare stand also wohl von Anfang an im Dienst der Respiration. In dem Maasse, als der Kieferapparat eine erhöhte Vorstreckbarkeit erwarb, büsste er für die Atmung seine physiologische Bedeutung als erstes Glied in der Reihe der in gleichem Sinne beweglichen Visceralbogen ein (vgl. die gewissermassen analogen Verhältnisse bei den Holocephalen; LUTHER 1909 b p. 48-49). Je mehr dieses geschah, um so mehr musste aber der Hyalbogen mit dem Kiemendeckel allein die Funktion als erstes Glied der Reihe übernehmen. Der M. protractor nahm entsprechend an Stärke zu. Hand in Hand damit erwarb er dann auch seine Bedeutung für die Vorstreckbarkeit der Kiefer, und vorlor ganz und gar seine Insertion am Palatoquadratum. Bei den vorstehenden Erörterungen wurde angenommen, dass der Kieferbogen der Chondrostei, in Übereinstimmung mit den bei anderen Fischen bestehenden typischen Vorkomnissen, einst mit dem Kranium näher verbunden war als jetzt. Eine solche Auffassung findet nach PARKER'S (1882 p. 152), allerdings recht mangelhaften Untersuchungen, auch in der Ontogenie eine Stütze. Etwas abweichend gestalten sich die Verhältnisse bei Polyodon (Textf. 3), wie es bei der sehr verschiedenen Ausbildung des Kieferapparats nicht anders zu erwarten Der Protractor hyomandibularis (c,dhm) erinnert bei dieser Gattung zwar an war. 1 Syn.: M. protractor mandibularis DANFORTH 1912, p. 413; f. 14, p. 436 u. f. 16, p. 440 mpr. |