Sivut kuvina
PDF
ePub

einem Schein von mehr trachten, als man vermag, sondern schlicht und recht denken und sich ausdrücken. Hier also nimm von mir eine heilsame Regel an. Wenn Du lateinische Aufsåge machst, so denke Dir, was Du sagen willst, mit der größten Bestimmtheit, deren Du fähig bist, und fasse es in den anspruchslosesten Ausdruck. Studiere den Periodenbau der großen Schriftsteller, und übe Dich manchmal einzelne nachzubilden: überseße die Stücke so, daß Du die Perioden auflöst, und wenn Du sie zurückübersegest, so suche die Perioden herzustellen; eine Uebung, wozu Du ja der Leitung Deines Lehrers nicht bedarfst: aber thue es nur als Vorübung für den Gebrauch einer reifern Zeit. Wenn Du schreibst, so forsche ångstlich, ob Deine Sprache von Einer Farbe ist: es gilt mir gleich, ob Du Dich an die von Cicero und Livius, oder an die von Tacitus und Quintilian bindest: aber Einen Zeitraum mußt Du Dir wählen; sonst entsteht ein buntschäckiges Wesen, welches den ordentlichen Philologen eben so årgert, als ob man Deutsch von 1650 und 1800 unter einander mengte. Suche der Kunst habhaft zu werden, die Säße zu verbinden, ohne die alles angebliche Latein eine wahre Marter für den Leser ist. Und ganz besonders sieh bei den Metaphern genau zu: was darin nicht ganz tadellos ist, ist unausstehlich, und eben daher ist Lateinschreiben eine so herrliche Schule alles guten Styls: und nåchst dem Latein das Französische, welches auch nichts Ungereimtes duldet, worüber der Deutsche in seiner eigenen Sprache so fatal gleichgültig ist.

Du hast sehr Recht gehabt, die beiden entworfenen Aufsåge, deren Du erwåhnst, nicht zu schicken, weil Du unmöglich etwas Gesundes darüber sagen kannst.

Lernen, mein Lieber, gewissenhaft lernen: immerfort seine Kenntnisse prüfen und vermehren: das ist unser theoretischer Beruf für's Leben, und er ist es am allermeisten für die Jugend, die das Glück hat, sich dem Reiz der neuen intellectuellen Welt, welche ihr die Bücher geben, ungehindert überlassen zu können. Wer eine Abhandlung schreibt, er mag sagen, was er will, macht Anspruch zu

lehren, und lehren kann man nicht ohne irgend einen Grad von Weisheit, welche der Ersaß ist, den Gott für die hinschwindende Jugendseligkeit giebt, wenn wir ihr nachstreben. Ein weiser Jüngling ist ein Unding. Auch sage man nicht, daß man solche Ausarbeitungen für sich selbst macht, um einen einzelnen Gegenstand zu ergründen. Wer es in dieser Absicht thut, handelt verkehrt und schadet sich. Fragmentarisch schreibe er sich nieder, was er durchdacht hat; er sege sich nicht hin, um beim Schreiben zu denken. Wer in ein geründetes Ganze bringen will, was auch nicht den Schatten einer Vollendung haben kann, weder innerer noch åußerer, der seht sich in die allergrößte Gefahr, sich mit Schein und Oberflächlichkeit zu begnügen, und eine sehr schlechte und verderbliche Fertigkeit im schlechten Schreiben anzunehmen. Heil dem jungen Baum, der in gutem Boden und günstiger Lage gepflanzt, von sorgsamer Hand in geradem Wuchs erhalten' wird, und kernhaftes Holz bildet! Fördert übermäßige Bewåsserung seinen Wuchs, und ist er schwach und weich, den Streichen des Windes ohne Schuß und Haltung ausgeseßt, so wird sein Holz schwammig und sein Wuchs schief für seine ganze Lebensdauer.

Ich komme jezt zu einem andern Theil meines Geschåftes, Dir Rath zu geben. Ich wollte, Du håttest keine so große Freude an Satyren, nicht einmal an den Horazischen. Wende Dich zu den Werken, die das Herz erheben, in denen Du große Menschen und große Schicksale siehst, und in einer höhern Welt lebst; wende Dich ab von denen, welche die verächtliche und niedrige Seite gemeiner Verhältnisse und gesunkener Zeiten darstellen. Sie gehören nicht für den Jüngling, und im Alterthum håtte man sie ihm nicht in die Hånde kommen lassen. Homer, Aeschylus, Sophokles, Pindar, das sind die Dichter des Jünglings, das sind die, an denen die großen Månner des Alterthums sich nåhrten, und welche, so lange Literatur die Welt erleuchtet, die jugendlich mit ihnen erfüllte Seele für's Leben veredeln werden. Horazens Oden, als Abbild Griechischer Muster, thun dem Jüngling auch

wohl, und es ist schlimm, daß eine Geringschåßung ihrer sich verbreitet hat, die nur bei einer kleinen Anzahl von Meistern befugt und nicht schndde ist. In den Sermonen ist Horaz eigenthümlich und geistreicher, aber wer sie zu lesen versteht, liest sie mit Wehmuth; wohlthätig können sie durchaus nicht wirken. Man sieht einen edlen Menschen, der aber aus Neigung und Reflexion sich eine unglückliche Zeit behaglich zu machen sucht, und sich einer schlechten Philosophie ergeben hat, die ihn nicht hindert, edel zu bleiben, aber zu einer niedrigen Ansicht herabstimmt. Seine Moral beruht nur auf dem Prinzip des Schicklichen, Wohlanståndigen, Vernünftigen: erklårt er doch das Heilsame (um den günstigsten Ausdruck zu wählen) für die Quelle des Begriffs vom Necht. Schlechtigkeit erweckt in ihm Mißbehagen, und reizt ihn: nicht zum Zorn, sondern zur leichten Züchtigung. Der Sinn für Tugend, welcher zur Verfolgung des Lasters hinreißt, erscheint gar nicht in ihm, den wir nicht nur in Tacitus, auch in Juvenal sehen, und bei diesem bis zum Entseglichen. Juvenal aber darfst Du, wenige Stücke ausgenommen, schlechterdings noch nicht lesen; und Du verlierst dabei nichts: denn wenn Du ihn auch lesen dürftest, so frommte es Deinem Alter nicht, beim Anblick des Lasters zu verweilen, anstatt große Gedanken nachzudenken.

Zum Studium der Sprache empfehle ich Dir vor Allen Demosthenes und Cicero. Nimm von jenem die Rede pro Corona, von diesem die pro Cluentio, und lies sie mit aller Sammlung, deren Du fåhig bist, dann gehe sie so durch, daß Du Dir von jedem Worte, von jeder Phrase Rechenschaft gebest: entwirf Dir ein Argumentum: suche Dir alle historische Umstånde klar zu machen und in Ordnung zu legen. Das wird Dir eine unendliche Arbeit machen, und daraus lernt man, wie wenig man noch wissen kann, und folglich weiß. Wende Dich dann an Deinen Lehrer, nicht um ihn mit unerwartet schweren Aufgaben zu überraschen, denn es giebt zum Beispiel in der Cluentiana factische Schwierigkeiten, die man, bei der anhaltendsten

Vertraulichkeit, doch nur durch Hypothesen lösen kann, die sich keinem Gelehrten augenblicklich darbieten—sondern damit er die Freundlichkeit habe, für Dich nachzuschlagen und nachzudenken, wo Deine Kräfte und Hülfsmittel erschöpft sind. Entwickele Dir

in der Cluentiana das System der Anklage.

Sammle Dir

Worte und Ausdrücke, besonders Epitheta mit ihren Hauptwörtern und den Kern der Translationen. Uebersege, bringe nach einigen Wochen das Ueberseßte wieder in die Originalsprache.

Neben dieser grammatischen Arbeit lies einen jener großen Schriftsteller nach dem andern mit größerer Freiheit: aber nach der Vollendung eines Buches, oder eines Abschnitts, rufe Dir das Gelesene in's Gedächtniß zurück, und zeichne Dir den Inhalt in der größten Kürze an. Zeichne Dir dann auch Ausdrücke und Redensarten auf, die Dir besonders wieder gegenwärtig werden, so wie man jedes neugelernte Wort gleich aufschreiben, und den Zettel am Abend wieder durchlesen muß.

Laß für jest Kritiker und Emendatoren ungelesen. Die Zeit wird schon kommen, wo Du sie mit Nugen studieren wirst. Erst muß der Maler zeichnen können, ehe er anfångt Farben zu gebrauchen, und er muß die gewöhnlichen Farben behandeln können, ehe er sich für oder wider den Gebrauch der Lasuren entscheidet. -Vom Schreiben habe ich Dir schon geredet. Laß das bunt= schäckige Lesen, selbst der alten Schriftsteller: es giebt auch unter ihnen gar viele schlechte. Aeolus ließ nur den einzigen Wind wehen, der Odysseus an's Ziel führen sollte, die übrigen band er: geldst und durch einander fahrend bereiteten sie ihm endlose Irre. Die Geschichte studiere doppelt: nach den Personen, und nach den Staaten: mache Dir häufig synchronistische Uebersichten.

Die Lehren, welche ich Dir gebe, würde ich jedem, der an Deiner Stelle wåre, ertheilen. Den Tadel würde ich sehr Vielen zu geben haben. Glaube ja nicht, daß ich dies nicht weiß, und daß ich Dir Deinen Fleiß nicht gerne und nicht nach Verdienst anrechne.

Das Studium, welches ich von Dir fodere, ist sehr unscheinbar, geht langsam, und es wird Dich vielleicht niederschlagen, noch eine lange Reihe von Lehrjahren vor Dir zu sehen. Über Lieber, wahrhaft lernen und wahrhaft gewinnen ist das wahre Gut des theoretischen Lebens, und unsere Lebenszeit ist so kurz nicht. Wie lang sie aber auch ist, haben wir immerfort zu lernen: Gottlob, daß dem so ist.

Und nun segne Gott Deine Arbeiten, und gebe Dir den rechten Sinn, damit Du sie zu Deinem eigenen Heil und Glück führeft, zur Freude Deiner Eltern und unser Uller, denen Deine Tugend und Achtungswürdigkeit redlich am Herzen liegt.

6.-Friedrich Wilhelm, Kronprinz (jeht König) von Preußen, an A. von Chamisso.

Mein lieber Herr von Chamisso!

Auf Ihre lieben Zeilen, welche so werthvolle Gabe' begleitete, mußte ich selbst antworten, daher kommt die Antwort spåter als ich gewünscht hatte, denn Sie ahnen, daß wir jegt volle Tage haben.2 Es ist mir ungemein viel werth, Ihre Werke aus Ihrer Hand zu besigen. Uebrigens hatte ich nicht so lange gewartet, um sie mir anzueignen. Ich war schon ziemlich avancirt in Ihrer Reisebeschreibung, und hatte ein gut Theil Ihrer Gedichte, die einmal wirklich Gedichte und nicht Versereien sind, gelesen, ehe Sie sie mir gesendet. Die gute Laune, die bei so vielem Ernste durch Ihre Reise weht, hatte mich veranlaßt, das Werk dem König für die Abendlectüre zu empfehlen, und es hat allerhöchsten Orts gar sehr behagt, und füllt daselbst jezt die Zeit zwischen dem Souper und dem Auseinandergehen ergöglich und lehrreich aus.

'Ein Exemplar von Chamisso's Werken.

2 Der Brief ist am 16. Mai 1836, mitten unter den Hoffesten geschrieben, die den damals in Berlin anwesenden französischen Prinzen, den Herzögen von Orleans und von Nemours, gegeben wurden.

« EdellinenJatka »