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Anhang.

Erzählungen im Volkstone.

1. Der Fremdling in Memel.

Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren mit einem Schiff aus Westindien an den Küsten der Ostsee ankam. Damals war der rufsische Kaiser bei dem König von Preußen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in hand, als zwei recht gute Freunde, bei einander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie zu, meinte es seyen zwei Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerlei Neues zu hdren, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sey. Ich bin der König von Preußen," sagte der eine. Das kam nun dem fremden Unkömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste åhlen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrthum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: Dies ist Seine Majestät der russische Kaiser,"da war's doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum Besten haben wollten, und er sagte: „Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen

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Andern als ich bin. Bin ich deswegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sey?" Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sey. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. Ein russischer Spaßvogel möget ihr seyn,“ sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die Sache erzählte und andern Vericht erhielt, da kam er ganz demüthig wieder, bat fußfällig um Vergebung, und die großmüthigen Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel Spaß an dem Vorfall.

2. Das wohlfeile Mittagessen.

Es ist ein altes Sprichwort: Wer Andern eine Grube gråbt, fållt selber darein.— Aber der Löwenwirth in einem gewissen Städtlein war schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trohig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüse, für sein Geld. Der Wirth fragte ganz höflich: ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe? O freilich ja, erwiederte der Gast, wenn ich etwas Gutes haben kann für mein Geld. Nachdem er sich alles wohl hatte schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche, und sagte: „Hier, Herr Wirth, ist mein Geld." Der Wirth sagte: Was soll das heißen? Seyd ihr mir nicht einen Thaler schuldig? Der Gast erwiederte: Ich habe für keinen Thaler Speise von euch verlangt, sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab' ich nicht. Habt ihr mir zu viel dafür gegeben, so ist's eure Schuld.—Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur Unverschåmtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüth, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. Ihr seyd ein durchtriebener Schalk," erwiederte der Wirth,,, und håttet wohl etwas anders verdient. schenke euch das Mittagessen und hier noch ein VierundzwanzigKreuzer-Stück dazu. Nur seyd stille zur Sache, und geht zu

Aber ich

meinem Nachbarn, dem Bårenwirth, und macht es ihm eben so." Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Vårenwirth, aus Brotneid im Unfrieden lebte, und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne anthat und erwiederte. Aber der schlaue Gast griff lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Gelde, mit der andern vorsichtig nach der Thüre, wünschte dem Wirth einen guten Abend, und sagte: Bei euerm Nachbarn, dem Herrn Bårenwirth, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu euch geschickt und kein anderer."

So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte hatte den Nugen davon. Aber der listige Kunde håtte sich noch oben= drein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen, und sich mit einander ausgeföhnt håtten. Denn Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.

3.-Kannitverstan.

Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen, so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herum fliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amster dam durch den Irrthum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntniß. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt, voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und gesch&stiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebäude, die 6 Kamine auf dem Dache, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Hause daheim die Thür. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. Guter Freund, redete er ihn an, könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt,

dem dieses wunderschöne Haus gehört, mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkoien ?"—Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun hatte, und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich Nichts, sagte kurz und schnauzig: Kannitverst an; und schnurrte vorüber. Dies war ein Holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch so viel als: Ich kann euch nicht verstehen. Aber der gute Fremdling glaubte, es sey der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann seyn, der Kannitverstan, dachte er, und ging weiter. Gass' aus Gass' ein kam er endlich an den Meerkusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das Ypsitor. Da stand nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mestsaum; und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genvg zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor Kurzem aus Ostindien angelangt war, und jezt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und neben einander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fåsser voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer, und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraus trug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe. "Kan= nitverstan," war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut, solche Häuser in die Welt stellen, und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in ver= goldeten Scherben. Jegt ging er wieder zurück, und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sey, unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekåme,

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wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke, und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Måntel, und stumm. In der Ferne låutete ein einsames Glöcklein. Jest ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Hånden andächtig stehen, bis Alles vorüber war. Doch machte er sich an den Lehten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baum= wolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Exküse.

Das muß wohl auch ein guter Freund von euch gewesen seyn,” sagte er,,,dem das Glöcklein låutet, daß ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein Paar große Thrånen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht um's Herz. Armer Kannitverstan, rief er aus, was hast du nun von allem deinem Reichthum? Was ich einst von meiner Armuth auch bekomme: ein Todtenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust, oder eine Raute. Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche als wenn er dazu gehörte, bis an's Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruheståtte, und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht Acht gab. Endlich) ging er leichten Herzens mit den Andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Kåse, und, wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seyen, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn

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