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Das Tier schien ebenso erschrocken über das plögliche Begegnen eines Menschen, als der Weber es war; dieser aber stand einige Augenblicke vor Furcht erstarrt dem aufrecht auf seinen Hinterfüßen stehenden Bären gegenüber. Doch gerade die Furcht war es auch, die seinem Arme jest ungewöhnliche Kräfte gab; er führte mit der Holzart einen so glücklichen Streich nach dem aufgesperrten Nachen des Tieres, daß s er diesem den Unterkiefer zerschmetterte. Nun kam dem erschrockenen Manne die Besinnung wieder und zugleich ein ungewöhnlicher Mut. Nach seiner Erzählung erkannte er erst jest, daß der Feind, der da vor ihm stand, ein Bär sei, und dachte sogleich an die Prämie, welche auf Erlegung eines Bären gesezt ist. Beißen, das sah er wohl, konnte ihn das Tier mit seiner zerschmetterten Kinnlade nicht mehr; 10 desto gefährlicher aber hätte ihm der Druck seiner Tagen werden können, wenn es ihm nicht gelungen wäre, dem Bären noch einige Wunden an der Brust und Schulter beizubringen. Aber noch war der Feind nicht besiegt. Der Bär warf sich zu Boden auf den Rücken und fing mit vorgehaltenen Tagen die meisten Streiche der Holzart auf oder minderte doch ihre Wirkung. Dennoch traf mancher Schlag 15 so gut, daß das geängstete Tier sich zur Flucht bequemte; es wälzte sich plötzlich auf dem Schnee des jähen Bergabhanges hinab in den unten vorbeifließenden Wildbach. Der Weber eilte ihm nach und sprang mutig hinein in das kalte Wasser, welches ihm fast bis an den halben Leib ging. Während er hier den Kampf mit dem schwer verwundeten Bären fortführte, kam der Ortsvorsteher auf dem Fußsteige 20 ber, der am Wasser hinführt. Was tust du da?" rief er dem Weber zu, wie willst du es imstande sein, einen solchen Bären zu erlegen? Laß ab, ich laufe hinein in den Ort und rufe etliche Scharfschüßen!"

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Dem Weber wurde es jest bang um seine Prämie, welche in Gefahr stand, eine Beute der Scharfschüßen zu werden; er strengte seine letzten Kräfte an, und es 25 gelang ihm, dem schwimmenden Tiere einen Schlag auf die Stirn zu verseßen, der dasselbe ganz betäubte. Er zog es jetzt aus dem Wasser heraus, wälzte es mit Mühe auf seinen Schlitten, band es da fest und fuhr mit der schweren Last so schnell als möglich auf der Straße nach dem Landgerichte hinab.

Unterwegs begegneten ihm die Scharfschüßen samt dem Ortsvorstand.

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tein Narr", sagte einer der ersteren, und bilde dir eine Prämie ein! Es heißt ausdrücklich:,Schußgeld wird für einen Bären gezahlt', du aber hast den deinigen nicht erschossen, sondern totgeschlagen." Der Bär schien sich jetzt wieder ein wenig zu regen, einer der Scharfschüßen schoß ihn, ohne sich an die Protestation des Webers zu fehren, durch den Kopf. Der Weber aber, als die Männer ihn 35 verlassen hatten, setzte seinen Weg nach dem Landgerichte so eilig als möglich fort, nicht ohne bange Besorgnis, ob man ihm seinen Totschlag wohl ebensohoch anrechnen würde als einen Totschuß.

Ihm geschah nach seinem Wunsche; es wurde ihm, als dem eigentlichen Erleger des Bären, die ganze Prämie ausbezahlt, und zwar, weil das Tier ein May 40 (Männchen) war, 35 Kaisergulden oder 42 fl. Reichswährung, was für den armen Weber, der im Kampfe manche Wunde von den Klauen seines Gegners empfangen hatte, ein wohlverdienter Schat war. In dem Magen des erlegten Tieres fand man nur einige Hagebutten der Gebirgsrose, ein Futter, das dem armen Mag freilich nicht viel Kraft zum Kampfe hatte geben können.

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7. Wie Hans Sachs auf die Wanderung geht.

Bon F. Furchau.

Hans Sachs. Leipzig 1820. Abt. I (Die Wanderschaft), S. 1

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Es war im Jahre 1511, als zu Nürnberg eines Morgens sehr zeitig mit einem so guten Reisepäcklein und einem Wanderstabe Hans Sachs aus seinem elterlichen Hause

hervortrat und seinem Vater und seiner Mutter Lebewohl sagte, um als Geselle des löblichen Schuhmacherhandwerkes seine Wanderung durch Deutschland anzutreten. Zu seiner Seite ging an jenem Morgen ein kunstreicher Leinweber und Liebhaber der ehemals holdselig genannten Meistersängerkunst, welcher zu Nürnberg wohnhaft war, 6 Leonhard Nunnenbed hieß und den jungen Sachs seit zwei Jahren im Reimemachen und im Singen mühsam und gestrenge unterwiesen hatte. Diese beiden schritten rüstig durch die noch leeren und dunkeln Gassen und waren bald auf den Weg gekommen, der von Nürnberg gen Regensburg führt; da erst brach Leonhard das Schweigen, indem er anhub:,,Sehet Ihr, lieber Sachs, dort geht gerade die Sonne hinter dem 10 grünen Büschlein hervor; kommt nur wieder rein und helle, wie die Sonne uns immer wiederkommt, die heute mit Euch so völlig strahlend auf die Wanderschaft geht“.

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,,Lieber Sachs", sprach Meister Leonhard nach einer Weile ernsthafter, „es ist nun Euer 17. Frühjahr, und Ihr seid wie ein gut gezogenes Bäumlein; macht nur nicht, daß Eure Blätter hangen, wenn wir Euch wiedersehen". Es war fast, als 15 wenn bei diesen Worten die Stimme des guten Leonhard ein wenig zitterte; er faßte des jungen Gesellen Hand, und sie standen eine Weile miteinander.

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Aber Ihr seid ja von guter nürnbergischer Art, fleißig und fröhlich und dabei ehrsam, trotz Eurer Jugend, lieber Sachs!" redete darauf schneller fortschreitend Meister Leonhard;,,wie sollte mir denn bange werden um Euer Fortkommen in der weiten 20 Welt? Wenn nur nicht eines wäre, was ich Euch doch nicht verschweigen darf. Ich habe nun seit zwei Jahren als ein getreuer Meister nach meinen Kräften Euch in unserer holdseligen, fast schon verachteten Kunst des Reimens und Singens unterwiesen und hab' Freude an Euch erlebt; denn Ihr wußtet die Weise und Töne oft schon, noch ehe ich es Euch gelehret. Aber dabei habe ich denn auch ein verborgenes 25 Fünklein in Euch glimmen sehen, was Euch in der Fremde leicht verderblich werden fann, wenn 3hr nicht recht sorglich über Euch selbst wachet. Euer Geist wird. nämlich oft gar schnell von vielerlei Einbildung erhigt, lieber Sachs; und da stellt Ihr Euch dieses oder jenes leicht anders vor, als es ist, gar lieblich und täuschend, aber sehet darüber nicht immer, wie es wirklich aussieht. Wenn Euch das nun auf der Wanderschaft begegnen sollte, so könnt Ihr in arge Stricke geraten und meint doch, 3hr wandelt im Lichte. Darum ist es mir noch immer nicht recht, daß Ihr nach Eurer schweren Krankheit das Handwerk ansinget. Ihr hättet nur bei den Büchern bleiben und Euch in Eurem Kämmerlein ungefährdet zu einem recht gelehrten Mann studieren sollen; das wäre Eure Sache gewesen, denn beim Studieren fommt es eben recht darauf an, nach der Beschreibung zu wissen, wie alles gewesen und geworden ist; da hättet 3hr, ohne in die weite und wilde Welt zu gehen, daheim gar tiefsinnig alles ergründen und beschreiben und als ein angesehener Doktor einst eine rechte Zierde unserer Singschule werden können.“

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Fast ungeduldig erhob bei diesen Worten der junge Wanderer seinen Wanderstab und rief, weit um sich blickend: Schauet die Wonne des Maien, Berg und Tal, Wald und Heiden mit Laub und Gras so überflüssig geziert; schauet den Anger mit edlen Blümlein; schauet die kleinen Bienen hin und wider fliegen und den Tau aus den Blümlein sangen; schauet jedes Brünnlein sich ergießen und die Wellen in kleinen Wirbeln schlagen, dazu die fröhlichen Vögel singen. Wenn ich 1 das alles betrachte, lieber Meister, so kann ich es denn nicht lassen, zu denken: wie ohn' Mangel, reich, schön, untadelig, wie vollkommen, wundersam und adelig sind, Herr Gott, deiner Hände Werk! und da fühl' ich es in meinen eigenen Händen und Füßen sich so mächtig regen, daß es mich dünket, der Mensch soll auch sein Handwerk treiben, und kommt mir dabei das Kämmerlein, von dem 3hr redet, so de ängstlich vor, das Büchlein so staubig und all das Grübeln und Wissen so töricht und gebrechlich! Ei, seht doch die hochgelahrten Herren an, was ist es anders, als eitel Mundwerk, was sie vorbringen, und am Ende weiß es keiner, was sie recht

ausgerichtet haben. Ihr seid ein anderer Mann, Meister Leonhard. Wenn Ihr Euer fein Gewebe aufgespannt habt und fliegt das Weberschifflein in Euern Händen hin und wieder und habt mit vielen Künsten ein Blümlein nach dem andern hineingewebt und spannt nun Euer Händewerk aus dem Rahmen und schaut, wie glatt es fällt, so habt Ihr doch Freude daran, und wißt, was Ihr gemacht habt; Ihr s könnt's dem Käufer mit freiem Mute feilstellen und habt Euch Euern Lohn sauer und redlich verdient. Nein, es ist kein eitel Ding um unser Händewerk; und wenn ich auch nur einen Stiefel fertig gemacht, wie's mich mein Meister gelehrt, und weiß, dort sigt der Zug und dort der Stich, und hab' bei jedem meine eigenen Gedanken gehabt und stell' ihn vor mich hin und schau' ihn an, so lacht mir das Herz 10 im Leibe, ich bin zufrieden mit meiner Arbeit; und ist an jedem Tage mein Wert fertig geworden, so kann ich auch an jedem Abend ruhig schlafen gehen; was ich etwa sonst noch den Tag über denke und dichte, das ist dann eine Zugabe zu dem Notwendigen, wie der Vogelgesang und das schöne Wetter, woran uns noch eine besondere Freude bereitet wird. Ich weiß wohl, als ich noch ein Knäblein war und 18 lustig und behende in die Welt schaute, meinte mein Vater, ich sollte etwas Besseres werden, als er und Ihr: ich sollte es bei dem feinen Ende anfassen und kein Handwerk lernen. Ich ward in die Schule getragen, und da saß ich und grübelte. Aber es sollte doch anders sein; ich ward krank, daß ich mein bestes Wissen vergaß und nur ein Schuhmacher werden mußte. Das dank' ich dem lieben Gott und will ihm 20 zu Ehren auf meinen selbstgemachten Schuhen umherwandern und zusehen, wie er es allenthalben in Berg und Tal eingerichtet hat, und was die Menschen dazu tun und sagen, daß ich auch etwas zustande bringen und sagen kann.“

Bei diesen Reden kamen dem getreuen Meister Leonhard fast die Tränen in die Augen, wie es ihm sonst nicht eben geschah, und er nahm unwillkürlich die Kappe 26 ab und sprach: „Sachs, Ihr seid ein wackerer Bursche, Ihr habt recht! Ein guter Mann, welcher fleißig und ordentlich seiner Hände Werk treibt, ist ein ehrenwerter und ein glücklicher Mann, und wenn er sich mit Vorbedacht in der Welt umsieht und Gaben zur Genüge hat, so wird er es auch schon lernen, sich mit anderen Dingen zu behelfen. Was soll ich es Euch verhehlen, Ihr wißt es ja auch ohnehin, 80 ich habe von Euren kleinen Jahren her, als Freund Eures Vaters, Euch mit besonderer Liebe und Freude angesehen, ich habe darauf Euer stilles und freudiges Wesen unablässig betrachtet, und da 3hr immer so fleißig gelernet habt und von so schönen und hohen Gaben seid, so bin ich schon lange mit großen Gedanken Euretwegen umgegangen. Unsere alte, holdselige Kunst des Reimens und Singens, in 35 der mich mein Vater, getreulichen Andenkens, selbst noch unterwiesen, und der ich mich mein Leben lang ergeben, kommt immer mehr in Abnahme und Vergessen, ich sehe es täglich mit Trauer an den jungen Gesellen, und da bilde ich mir ein, als sollte die alte deutsche Kunst durch Euch wieder zu rechtem Ansehen gelangen. Viele Dinge sind eitel, mühsam und ermüdend, und ein gutes Lied mit Gesang, oder eine 40 wohlgestellte Geschichte bleibt doch immer, was das Herz wieder ermuntert und den Geist erfrischt, wenn er sich verfangen und versessen hat; das sollte uns in keiner Zeit fehlen. Und darum, lieber Sachs, bleibet der guten Kunst des Reimens und Singens getreu! Wenn Ihr durch Städte und Länder wandert und der fremden und unbekannten Menschen viele trefft, so haltet Euch zu den Meistern und Gesellen, 45 welche Liebhaber des Gesanges sind, und Ihr werdet stets getreue und sittsame Freunde haben, die Toren meiden, welche am Wege stehen, und auch noch manche andere Art der Künste und Geschicklichkeiten kennen lernen; suchet also mühsam diese edlen Freunde des Gesanges auf und lasset Euch keinen Fleiß verdrießen, sie zu entdecken, denn diese halten sich am liebsten in der Verborgenheit auf und fallen 50 nicht lärmend ins Auge. Wenn Ihr in große und berühmte Städte kommt, so er kundiget Euch also fein fleißig nach den Schulen der Sänger, lernet ihre Weisen Kehru. Kriebizsch, Deutsches Lesebuch. II. 16. Aufl.

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und Lieder, und da 3hr des Schreibens schon ein so wohlerfahrener Meister seid, so schreibt das Anmutigste in ein Büchlein zusammen und bringet es als einen wohlgesammelten Schatz der Erfahrung von Eurer Wanderschaft mit heim; denn Erfahrung krönt den Meister in allen Dingen. Sollte ich es denn doch dereinst erleben, daß Ihr, auch als ein geringer Handwerksmann, unsere alte Kunst in Eurer Baterstadt wieder zu Ehren brächtet, so wollte ich Gott danken, daß Ihr kein gelehrter Herr geworden, sondern bei Eurem Leisten geblieben seid."

Dem freudigen Wanderer ging das Herz auf bei allen diesen liebreichen Neden seines gütigen Meisters, und er gelobte, dessen Rat redlich zu befolgen. Und als 10 sie nun unter solchen und anderen Reden noch eine Weile gegangen waren, zog der getreue Meister Leonhard ein Brieflein aus seiner Tasche und sprach: „Ihr wandert nun auf Regensburg zu; dort hab' ich mir vor Jahren einen redlichen und in allen Weisen und Tönen des damaligen Gesanges wohlerfahrenen Freund erworben, welcher Eures Handwerks ist und an welchen ich Euretwegen dies Brieflein gerichtet; tragt 15 es zu ihm, so er noch am Leben ist, und gehabt Euch wohl! Walte es Gott mit Eurer Wanderschaft!"

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Da drückte der getreue Meister Leonhard freudig dem lieben Wanderer das Brieflein rasch in die Hände und wandte sich zurück, daß der Morgenwind sein Gewand in flatternden Falten wieder gen Nürnberg trieb.

8. Der Schneider in Vensa. (1816.)
Von P. Hebel.

Sämtliche Werte. Karlsruhe 1832. Bd. III (Erzählungen des rheinischen Hausfreundes), S. 390.

Ein rechtschaffener Kalendermacher, zum Beispiel der Hausfreund, hat von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, nämlich, daß er die Wege aufdecke, auf welchen 25 die ewige Vorsehung für die Hilfe sorgt, noch ehe die Not da ist, und daß er kundmache das Lob vortrefflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast wo sie wollen.

Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein! Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für halb Rußland Arbeit genug, und doch kein Geld; aber ein froher, heiterer Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien deutsches Blut rhein80 ländischer Hausfreundschaft.

Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, welches für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spät. In Pensa ist 35 der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man aus Europa hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen, und alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer, gleichsam als eine fremde Ware, aus Europa mitbringt. Also tamen eines Tages, mit Franzosen meliert, auch sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die 40 damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brandstätten von Europa, ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den anderen mit trostloser Miene anblickte: „Was wird aus uns werden?“ oder: 15 „Wann wird der Tod unserem Elend ein Ende machen, und wer wird den lezten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch, wie ein Evangelium vom Himmel, unvermutet eine Stimme: „Sind keine Deutschen da?“ und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Nedarkreis, Großherzogtum 50 Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er

auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein pfälzer Schneider schlägt sieben- bis achtmalhundert Stunden Weges nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach Pensa, bald mit der Nadel fechtend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich s nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er jeßt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Bensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf 30 Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa 10 an, er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.

Einem Gemüte, wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne Freudenernte. So oft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Plaze, und: 15 „Sind keine Deutschen da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. „Wenn sie nur so oder so ausfähen“, dachte er. „Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann.“ Doch nahm er, wenn 20 keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weiter geführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte.

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Diesmal aber, und als er mitten unter soviele teure Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: „Sind keine Deutschen da?“ er mußte zum zweiten Male fragen, denn das erste Mal konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das süße 25 deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton —, und als er hörte: „Deutsche genug!" und von jedem erfragte, woher er sei er wäre mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte: „bon Mannheim am Rheinfrom" als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo Mannheim liegt —, der andere fagte: „von Bruchsal“, der dritte: „von Heidelberg“, der vierte: „von Go ch 3 - 30 heim“, da zog es wie ein warmies, auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. „Und ich bin von Bretten", sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier von Bretten, wie Joseph in Ägypten zu den Kindern Jsraels sagte: „Ich bin Joseph, euer Bruder“ und die Tränen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatsliebe traten allen in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider, oder der Schneider an 35 seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am gerührtesten war. Jezt führte der gute Mensch seine teuren Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.

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Jeht eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. „Anton“, sagte der Statthalter, wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?“ 10 Jezt lief er in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. Jezt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern. „Herr Landsmann“, sagte er zu einem, mit Eurem Weißzeug sieht's mindig aus. Ich werde Euch für ein halbes Duzend neuer Hemden sorgen.“ – „Ihr braucht auch ein neues Röcklein“, sagte er zu einem andern; Eures kann noch gewendet und 45 ausgebessert werden“ zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinländischen Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinländischen Hausfreunde: „Herr Landsmann, verrechnet Euch nicht. Ein 50 Kriegsgefangener bringt keine Münze mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure großen Auslagen werden schadlos halten können, und wann.“ Darauf erwiderte der Schneider:

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