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wollte. Der König, von dem guten Rate des Postillons, sowie von der Unmöglichfeit, mit den abgemagerten und höchst angegriffenen Postpferden allein fortzukommen, überzeugt, ließ sich diesen Vorschlag gefallen.

Der Postillon ritt nun eiligst nach Mois direkt zum damaligen Dorfschulzen Matheus Scharfenberg, welcher gute, starke Pferde besaß, und erzählte ihm ganz erhigt, was dem Könige passiert sei, und bat ihn, sofort mit seinen Pferden Vorspann zu leisten und schleunigst zu helfen. Der bereitwillige Schulze, ein sonst wohlhabender, großer, starker Mann, fühlte sich hochgeehrt, dem König selbst gefällig sein zu können, und er ritt mit seinen sofort angeschirrten Pferden dem königlichen Wagen zu. Dort angekommen und nachdem er sich überzeugt hatte, daß der halbversunkene 10 Wagen leicht Schaden nehmen könne, wenn alle Pferde nicht zugleich anzögen, trat er bis an den Wagen des Königs heran, indem er seine Müge zog, und es ents spann sich folgendes Gespräch zwischen dem Monarchen und Scharfenberg.

Scharfenberg: Ew. Majestät, Sie müssen hier aussteigen, bis der Wagen auf besseren Weg gefahren ist, es könnte leicht ein Unglück passieren."

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Friedrich: Nun sag Er mir aber, wie soll ich denn durch den vielen Dreck durch mit meinen Stiefeln?"

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Scharfenberg: Wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten wollen, werde ich Sie bis auf den Rain hinübertragen."

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Der König sah sich den starken Mann ein wenig an und sagte dann lächelnd: 20 ,,Nun meinetwegen!" Der Schulze trug ihn bis auf den Fußsteig, stellte ihn dort hin und ersuchte ihn, nun zu warten, bis der Wagen auf eine gewisse Strecke, die er als besser bezeichnete, gefahren sein würde.

Nun kommandierte der starke Schulze die Postillons, sie sollten darauf halten, daß, wenn er sage: „Na nu!“, alle Pferde zugleich anzögen, er selbst werde mit den 25 Schultern den Wagen hinten heben. Dies geschah und mit Krachen wurde der Wagen glücklich herausgezogen. Der König sah dieser Manipulation, die Umsicht und die Kraft des Schulzen bewundernd, zu, und als er wieder in den Wagen steigen konnte, wobei ihm Scharfenberg behilflich war, erfolgte die Fortsetzung obigen Gesprächs.

Friedrich: „Er ist ein starker Mann, ich danke Ihm vorläufig.“

Scharfenberg: 3u Kaisers Zeiten war ich noch stärker, Ew. Majestät.“
Friedrich: Spizbube, wie meinst du das?"

Scharfenberg:,,Nu ich war halt noch jünger!"

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Der König lächelte, bedankte sich und fuhr weiter. Beinahe ein halbes Jahr 35 darauf erhielt der Schulze Scharfenberg ein Kabinettsschreiben folgenden Inhaltes: Dem Schulzen zu Mois danke ich nochmals vor die freien Handdienste, so Er mir verwichenen Herbst prästieret, und soll Er von allen Steuern und Lasten auf dieses Jahr befreit sein, um wieder zu seinen vorigen Kräften zu kommen. F."

c. Der zerriffene Stiefel.

Ebendas., S. 47.

Eines Tages tam Friedrich mit einem zerrissenen Stiefel in Brieg an. Die Schle war abgetrennt, und er bei jedem Schritte in Gefahr, zu fallen. Er mußte also die Stiefel ausziehen; aber siehe da, als man ihm ein Paar andere Stiefel reichen wollte, waren diese in Neiße vergessen worden.

Der König mußte daher vom Kommandanten ein Paar Pantoffeln leihen und diese anziehen. Zornig über die Nachlässigkeit seiner Leute, befahl er ihnen, zu sorgen, daß sein Stiefel bald repariert werde, und dieser ward eilig zu einem neben dem Kommandantenhause wohnenden Schuhmacher, namens Reimann, gebracht.

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Als nun Friedrich ärgerlich in Pantoffeln im Zimmer auf und ab ging, meldete so man ihm einen hohen österreichischen Offizier, der ihn im Auftrage des Kaisers Joseph

in Neiße hatte begrüßen sollen und ihm, da er ihn dort verfehlt, nach Brieg nachgereist war.

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Die Augen des eintretenden Offiziers fielen unwillkürlich auf des Königs Fußbekleidung, und Friedrich sagte lächelnd: Bardon, Herr Obrist, daß ich Sie in 6 Pantoffeln empfange; aber der König von Preußen hat jetzt nicht einmal ein Paar Stiefel." Der Österreicher hatte jedoch die in Neiße vergessenen Stiefel mitgebracht; und der König dankte und lud ihn zur Tafel.

Inzwischen trat ein Bedienter mit dem ausgebesserten Stiefel ein, und der König frug:,,Was hat der Schuster genommen?"

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10 Gar nichts will er haben, Majestät!" antwortete der Bediente; „er sagt, er habe als Grenadier lange genug königliches Brot gegessen."

,,Laß den Narren hereinkommen!"

Reimann trat ein, und Friedrich sagte zu ihm: „Sci Er kein Narr und lasse Er Sich Seine Arbeit bezahlen! Was hat Er verdient?" -,,Einen Groschen, 15 Ew. Majestät!"-,,Er wird wohl von mir einen Taler acceptieren", scherzte der König,,,weil wir Kriegskameraden sein?" -,,3a, Ew. Majestät, ich habe vor Ihrem Quartier Wache gestanden, als Sie der Warkotsch gefangennehmen wollte." So! Hat Er auch den Gnadentaler ?" ,,Nein, Ew. Majestät.“ Warum nicht?",,Ja, ich sollte noch eine Kapitulation abdienen, und die 20 Knochen wollten nicht mehr fort." ,,Na, da warte Er draußen. Er wird Seinen Verdienst erhalten und einen Zettel auf den Gnadentaler.“

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Der österreichische Obrist war in einiger Verlegenheit wegen der Erwähnung des Warkotschschen Verrates in seiner Gegenwart und dachte klug zu tun, wenn er sich unkundig stelle und nach der Warkotschschen Geschichte frage. Friedrich erwiderte 25 aber: Die Geschichte wissen wir nicht vollständig in Preußen; aber in Wien können Sie selbe en détail erfahren, Herr Obrist!“

d. Der Seidlitzsche Reiter.

Ebendas., S. 80.

In Mollwitz bei Brieg lebte ein Leinweber, namens Gottschalk, der lange bei 80 den Seidligschen Kürassieren gedient hatte. Ein Sohn von ihm hatte bei Ankunft des Königs in Brieg in den siebziger Jahren von einem der Feldjäger, die den Weg freimachten, einen tüchtigen Hieb mit der Peitsche erhalten, und Gottschalk ging mutig ins Kommandantenhaus und verlangte den König zu sprechen. Er beklagte sich bei dem Monarchen über den Feldjäger. Der König fragte, ob er den $5 Jäger kenne, und da Gottschalk verneinte, so antwortete Friedrich:,,Da kann ich Ihm auch nicht helfen“.

,,Hat Er gedient?" fragte er darauf. —,,Ja, Ew. Majestät." -,,Bei welchem Regiment?"- , Bei Seidlitz Kürassieren." -,,Was treibt Er jest?"

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"Ich bin Leinweber." „Kann ,,Kann Er gute Arbeit machen?",,Das will ich meinen!" 40 sprach Gottschalk und legte ein Stück Leinen vor, das er mit in die Stadt zum Verkauf gebracht hatte. Der König besah es aufmerksam, lobte es sehr und bot dem Weber Unterstüßung an, wenn er ins Gebirge gehen und dort eine Fabrik anlegen wolle. ,,Er kann noch Kommerzienrat werden", scherzte er. Nein, Ew. Majestät, das geht nicht; denn ich kann weder lesen noch schreiben. Überdem s geht mir nichts ab, ich habe mir von der Roßbacher Beute eine Wirtschaft gekauft und bin ganz zufrieden."

Friedrich sagte zum gegenwärtigen Kommandanten:,,Das ist der erste alte Soldat, der kein Geld von mir haben will." Und Gottschalk fragte er: „,3st Sein Sohn auch Weber?",,Ja, Ew. Majestät." -,,Na, da werde ich ihm für so den Hieb den Abschied geben, damit er 3hn im Alter unterstüßen kann." Gottschalk dankte und entfernte sich. Nach einigen Jahren fand sich Gottschalk wieder

im Kommandantenhause beim Könige ein und bat um Freilassung seines zweiten Sohnes, der auch die Weberei lerne. Ist der Junge tauglich zum Soldaten?" fragte Friedrich. „Sag Er mir die Wahrheit." ,,Ja", antwortete der ehrliche Gottschalt. Da geht es diesmal nicht, Gottschalk. Wenn Er an meiner Stelle wäre, Er würde es auch nicht tun? Antworte Er.“ ,,Ew. Majestät haben 5 recht: ich würde es auch nicht tun.“ ,,Sieht Er wohl. Laß Er den Jungen also Soldat werden. Er wird's so gut aushalten wie Er."

Gottschalks Sohn wurde Soldat; diente aber nicht lange, da erhielt er den Abschied unverlangt. Als er nach Hause kam, rief der Vater: „Vivat, Vater Friz! Der weiß es schon zu machen!"

e. Der große Fisch.

Ebendas, S. 139.

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Der große König aß gern Fische. Wenn seine Ankunft in Brieg bevorstand, so sorgte der Kommandant, daß die dasigen Oderfischer die besten und größten Fische, die sie fingen, für den König aufbewahrten. Oft nahm Friedrich im 15 Hofe des Kommandantenhauses dann die Fische noch lebend in Augenschein. Der im Jahre 1846 verstorbene briegische Fischer - Oberälteste Scholz hat oft erzählt, wie er einst als Knabe mit seinem Vater im Kommandantenhause gewesen, als der Alte Friß die Fische betrachten kam, und wie der König, der mit allen Leuten sprach, zu ihm gesagt hat: „Na, Junge, willst du auch ein solcher Wasserplatscher 20 werden ?"

Im Jahre 1768 hatten die Fischer kurz vor Ankunft des Königs einen ungeheuer großen Wels gefangen, den sie auf einem Wagen mit Musik vors Kominandantenhaus brachten. Der König ließ einen Stuhl an den Wagen bringen und stieg darauf, den Wels zu betrachten. Dieser aber tat einen Schlag, der den König 25 arg bespritte, so daß er vom Stuhle sprang. Alles lachte. Friedrich aber sagte: 3hr Narren, was ist da zu lachen. Vor solches Ungeheuer da muß man retirieren." Er bezahlte den Fisch mit 100 Talern, ohne nach dem Preise zu fragen, und ließ ihn lebendig nach Berlin bringen.

In Brieg erzählte man damals, er habe sich den Spaß gemacht, in den Berliner 30 Zeitungen anzeigen zu lassen, es sei ein lebendiger Walfisch angekommen und gegen Eintrittsgeld zu sehen. Da dies viele, und darunter selbst gelehrte Leute, geglaubt hätten, ohne zu überlegen, daß der Walfisch im süßen Wasser nicht leben kann, so habe der König herzlich gelacht und das Eintrittsgeld der Charité geschenkt.

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M. Schwarz, Eagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg. Berlin 1871. S. 50. Von Friedrich dem Großen wird in der Neumark erzählt, daß er öfter, in einen alten Soldatenmantel gekleidet, abends umbergegangen ist in der Residenz und die Wirtshäuser besucht hat, um zu sehen, was seine Soldaten dort angeben. Einst trifft er auch einen Soldaten in einem Wirtshause, der dort gehörig trinkt und ihn 10 gleichfalls einladet, mitzutrinken.

Der Alte Frit läßt sich zwar etwas nötigen, tut aber doch zuletzt Bescheid. Da ihm jedoch der Geselle zu viel daraufachen zu lassen scheint, fragt er denselben: Aber Kamerad, wo hast du denn das Geld her? Dazu reicht doch dein Sold nicht hin?",,3a", sagt der andere,,,wer den preußischen Pfiff nicht kennte!" — 45 Was ist das, der preußische Pfiff?" fragt der Alte Friz. ,, Das kann ich dir nicht sagen", entgegnete der Kamerad;,du könntest mich verraten." Diese Antwort machte den König gewaltig neugierig; er dringt in den Soldaten und ruht nicht eher, bis ihm dieser das Geheimnis effenbart. So höre denn!" begann der Soldat,,, ich verkaufe alles, was zu verkaufen ist; es ist ja jezt Friede; - was • brauche ich zum Beispiel eine stählerne Säbelklinge? die ist verkauft, siehst du?“

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Und damit zog er den Griff seines Säbels heraus und zeigte dem Könige eine hölzerne Klinge. Dieser tat befriedigt und ging weiter. Er hatte sich aber den Soldaten wohl gemerkt, und nach einiger Zeit heißt es, das und das Regiment solle vor dem Könige zur Parade antreten. Der König kommt, reitet einigemal auf und 6 ab, und als er den Kameraden von neulich herausgefunden hat, befiehlt er ihm und seinem Nebenmanne, hervorzutreten. Als der Alte Friß sich noch einmal genau überzeugt hatte, daß von diesen beiden der eine sein Mann ist, den er gesucht, sagt er zu dem Kameraden mit dem preußischen Pfiff: „Zieh sofort deinen Säbel und haue deinem Nebenmanne den Kopf ab!" Der Soldat erschrickt, faßt sich aber 10 schnell und erwidert: Ach, Majestät, warum sollte ich das wohl tun! Mein Kamerad Nebenmann hat mir ja nichts zuleide getan!“ „Zieh!" ruft der Alte Frit; sonst soll dir dein Nebenmann den Kopf abschlagen!" Da bleibt dem Manne mit dem preußischen Pfiff nichts übrig; er legt die Hand an den Griff, blickt zum Himmel und ruft:,,Nun denn, wenn es nicht anders sein kann, so möge 15 mich Gott vor Mord behüten und geben, daß meine Säbelklinge zu Holz wird!" Und sieh da, wie er den Säbel herausgezogen hat, ist die Klinge von Holz. Friedrich aber lachte und sagte: „Ich merke, du verstehst wirklich den preußischen Pfiff".

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11. Drei Tage und zwei Lieder.

Bon W. O. von Horn. [W. Oertel.]

Drei Tage aus Gellerts Leben. Bremen 1870. S. 6. (Sehr gekürzt.)

"Hu, wie kalt! Müssen einheizen, Herr Professor!" So sprach zu dem Dichter Gellert sein Arzt, ein kleiner, dicker Mann. "Wollen Sie Sich denn ganz verderben? Sie müssen wärmer sißen." Gellert lächelte wehmütig. "Mein Holzstall hat die Schwindsucht", sagte er, mein Geld dazu. Doch, Herr Doktor, seien Sie zufrieden; ich will sorgen, sorgen." 25 Der Doktor bückte sich über Gellerts Schreibtisch und sagte fragend: "Ah, ein neues Lied ?" Gellert nickte mit verlegenem Gesicht. Der Doktor hielt es gegen das mit Eisblumen gezierte Fenster, und als er das Lied gelesen, sprach er: „Vortrefflich! ein echt christlich Lied. Lieber Herr Professor, das muß ich für meine Frau abschreiben. Morgen erhalten Sie's wieder." Dann fühlte der Doktor Gellerts Puls und sagte: „Immer noch langsam; das Sißen ist 30 ein Elend für Sie. Sollten einen Gaul haben, sollten reiten! Müssen ein Pferd kaufen!" "Schon wieder kaufen. Haben Sie nicht noch mehr solche wohlfeile Rezepte, Herr Doktor? Kommen mir jezt sehr gelegen", erwiderte Gellert mit traurigem Lächeln.

Der Doktor entfernte sich wieder. Gellert verfiel ins Nachsinnen. Gestern hatte er noch dreißig Taler, heute nichts mehr; sein Holz langte höchstens noch acht Tage. Ein85 nahmen waren nicht zu erwarten. Wo waren denn die dreißig Taler von gestern hingekommen?

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In einer abgelegenen, kleinen Gaffe der Stadt Leipzig war ein Häuslein, das gehörte dem reichen Geizhals Neidhardt. Es war ein jämmerliches Gebäude, brachte aber doch noch seine Zinsen. Schon seit Jahren wohnte ein armer, gottesfürchtiger Schuhmacher mit Frau 40 und vielen Kindern darin. Die Sorge ums tägliche Brot war hier zur Herberge, und es ging ihnen recht fümmerlich. Im Sommer hatten sie sich noch so ziemlich durchgeschlagen; aber jest war es Winter, Kriegszeit, große Kälte und der Verdienst gering, zudem nahte die Zeit der Hausmiete, die zu dreißig Talern angelaufen war, und schon hatte der geizige Neidhardt mit Hinauswerfen gedroht. -Da ging die Frau noch einmal zu dem Hart45 herzigen; aber er kannte kein Erbarmen. Kniefällig, unter tausend Tränen bat sie um Gebuld; sie hätten ja immer ehrlich bezahlt. Alles war umsonst. Es nahte der schreckliche Tag. Der Kummer hatte den Ernährer aufs Krankenbett geworfen. Kalte Luft drang durch die schlotternden Fenster, und sechs unmündige Kinder standen um den kalten Ofen, frierend, hungernd, weinend. Der Mutter wollte das Herz brechen. Der Vater aber sprach: "Gott 60 hat gesagt: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen‘. kommt, wir wollen beten." Der Vater betete inbrünstig, gläubig. Und als er Amen gesagt,

leuchtete ein Strahl frohen Vertrauens ins matte Herz. Die Mutter aber ging nebst zwei Kindern hinaus auf den Zimmerplatz, Späne aufzulesen. Es war ein heller Wintertag, ein falter Ostwind blies mit schneidender Schärfe durch die dünnen Röcklein der Armen, daß sie zitterten vor Frost und Hunger.

Zu ebendieser Zeit war Gellert ausgegangen, seiner Gesundheit wegen, und folgte im s warmen Pelzrock der Mutter und den Kindern nach. Die Kinder waren vorausgesprungen, die Mutter kam langsamen Schrittes nach, und unter hellen Tränen setzte sie sich auf einen Stein nieder. Gellert kannte Kummer und Not. Bei kärglichem Einkommen und dreizehn lebendigen Kindern waren beide oft in seinem Vaterhause zu Gaste gewesen. Darum ging er leise zu der Armen und fragte sie so herzinniglich nach ihrer Not, daß seine Worte ihr tief 10 in die Seele drangen und sie all ihren Kummer und Jammer dem unbekannten Herrn mitteilen konnte: wie Neidhardt sie heute oder morgen zur Herberge hinauswerfen werde, wenn fie dreißig Taler nicht zahlen könnten, und wie das ihrem Manne sein Tod sein werde, und wie sie und ihre Kinder vor Hunger sterben müßten.

"Frau", rief Gellert, der Herr lebt noch, und wenn Ihr glaubt, werdet Ihr seine 15 Herrlichkeit sehen." Er befahl der Frau, ihm zu folgen, schloß zu Hause sein Pult auf, nahm dreißig Taler heraus und gab sie der Frau. Als die Frau vor Freude niederfallen und seine Kniee umklammern wollte, wehrte er ab und sagte: "Danket Gott, der Euer Gebet erhöret hat. Geht jezt aber nicht früher als um 11 Uhr zu Neidhardt, ihm das Geld zu bringen."

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Dann wandte sich Gellert im Kämmerlein zum Herrn und ging kurz vor 11 Uhr zu dem alten Neidhardt, der eben vor einem Tische mit Geld saß und es ungern hatte, daß er gestört wurde, aber einem so allgemein geachteten Manne gegenüber artiger sein mußte, als es ihm ums Herz war. Gellert sagte: "Herr Neidhardt, von Ihnen kann man gewiß viel Gutes lernen. Sie werden die Kunst verstehen, mit Ihrem Gottessegen wahrhaft wohlzu- 25 tun." Der Geizhals war in Verlegenheit; denn gut deutsch sagte ihm sein Gewissen das Gegenteil und und er wünschte den Professor über alle Berge. Gellert aber fuhr fort, von den seligen Freuden des Wohltuns so eindringlich zu reden, daß es dem Wucherer ganz warm ums Herz wurde.

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Da schlug es elf, und mit dem Schlage trat die arme Frau herein, mit einem strahlen- 30 den Gesichte und rief: "Da bring' ich Ihnen die dreißig Taler, und jezt geben Sie mir auch das Brieflein wieder, das Ihnen mein todkranker Mann geschrieben, daß Sie uns nicht sollten aus dem Hause werfen." Und dem Neidhardt war's, als stünde er auf Kohlen, und er sagte: Aches hätte nicht so pressiert; -es war ja nicht so ernst gemeint; 3hr seht ja, daß ich jezt Besuch habe; geht jest." — Unterdessen ergriff er mit seinen 35 Inochigen Fingern die Rolle und schob sie in die Tasche. Gellert aber sagte halblaut: "Es sind dreißig Taler, und es klebt kein Fluch daran". — Und Neidhardt fühlte bei diesen Worten ein sonderbares Frösteln. Die Frau aber fuhr fort: „Ja, ja, jezt sagen Sie, es sei Ihnen nicht Ernst gewesen. Gestern aber sagten Sie:,Geld muß her, oder ich werf' euch mit eurem Plunder auf die Straße. Wir haben Ihnen nicht geflucht; wohl aber hat 40 mein Mann für Sie gebetet, daß Gott Ihnen das steinerne Herz wegnehmen möchte, und beute morgen hat Gott unser Elend angesehen: wie ich auf einem Straßenstein weinte, hat mich dieser gute Herr da gefunden und mir die dreißig Taler geschenkt."Gellert winkte, daß sie schweigen sollte; die Frau aber sagte: „Winken Sie nur; ich muß es sagen, sonst drückt's mir das Herz ab". Neidhardt wurde rot bis über die Ohren. Aber auf einmal 45 nimmt er sich zusammen, gibt der Frau dreißig Taler streicht am Pult einen Posten durch und spricht: "Frau, Eure Schuld ist bezahlt, kaufet Brot und pfleget Euren Kranken". Und zu Gellert sprach er: "Vortrefflicher Herr, Sie können nicht nur schön schreiben, sondern auch schön handeln. Wir wollen zusammen zu der armen Familie gehen."

Gesagt, getan. Und ins elende Stüblein schien ein Sonnenstrahl göttlicher und mensch- 50 licher Hilfe, und des Schuhmachers Gebet wurde über Bitten und Verstehen erhört; denn Neidhardt tat der Haushaltung von dem Tage an viel Gutes.

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