Er aß, und fand die Frucht vortrefflich von Geschmack, Und füllte seinen Reisesad. Er stieg den Berg hinan und fiel den Augenblick Beladen in das Tal zurück. "O Freund!" rief einer von den Höhen, Denn unser Glück verdienet fie!" Er stieg und sah empor, wieweit er steigen Ach Himmel! ach! es war noch weit. Von seiner Furcht, damit er sich die Müh' verfüßte. Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan; Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an. Er finnt. Ja, ja, er mag es überlegen. | "Steig", sagt ihm sein Verstand, „bemüh dich um dein Glüď!" »Nein“, sprach sein Herz, „kehr in das Tal Du steigst sonst über dein Vermögen. Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte bat!" Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale, Entschloß sich oft zu gehn und schien sich stets 10 zu matt. Das erste Hindernis galt auch die andern Male; Kurz er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt. Dem Jüngling gleichen viele Christen. Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt, 15 125. Chidher1). (1823.) Gesammelte poetische Werke. 1. Chidher, der ewig junge, sprach: "3ch fuhr an einer Stadt vorbei; Ein Mann im Garten Früchte brach; Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei. Er sprach und pflückte die Früchte fort: ,Die Stadt steht ewig an diesem Ort Und wird so stehen ewig fort.' Frankfurt a. M. 1868. Bd. III, S. 14. Und aber nach fünfhundert Jahren Und aber nach fünfhundert Jahren " 35 3. Da fand ich ein Meer, das Wellenschlug, 30 Ein Schiffer warf die Nege frei; Und als er ruhte vom schweren Zug, Fragt' ich, seit wann das Meer hier sei. Er sprach und lachte meinem Wort: ,Colang, als schäumen die Wellen dort, Fischt man, und fischt man in diesem Port.'Und aber nach fünfhundert Jayren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 4. Da fand ich einen waldigen Raum Und einen Mann in der Siedelei, Er fällte mit der Art den Baum; Ich fragte, wie alt der Wald hier sei. Er sprach:,Der Wald ist mein ewiger Hort; Schon ewig wohn' ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäum' hier fort.' Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren, 1) Chidhr oder Chidher, ein indischer Gott, mit ewiger Jugend begabt, der alle 500 Jahre zur Erde wiederkehrt. Kehru. Kriebitsch, Deutsches Lesebuch. II. 16. Aufl. 20 45 10 18 20 25 5. Da fand ich eine Stadt, und laut Erschallte der Markt vom Volksgeschrei. Ich fragte:,Seit wann ist die Stadt ers baut? Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?' Sie schrieen und hörten nicht mein Wort; Und aber nach fünfhundert Jahren 126. Die Palme. Charitas. Eine Festgabe. Regensburg 1835. II. S. 15. 1. Stark ist als zarte Pflanze schon die Um ihre jugendliche Kraft zu proben, 2. Allmählich aber trieb der Stamm; es Sich schwellend unter jener Last die Halme; 3. Dem Baume gleicht ein gotterfüllt Gemüte, Das schon beschwert wird in der Jugend Blüte Mit Weh und zu erliegen scheint dem Drucke. 4. Nur stärker wird es durch der Leiden Bürde, Sein Glaube fester, höher seine Würde; Zulegt dient ihm des Kreuzes Laft zum Schmucke. 127. Die Kreuzschau. (1834.) Von A. v. Chamisso. Werke Leipzig 1856 1. Der Pilger, der die Höhen überstiegen, Sah jenseits schon das ausgespannte Tal In Abendglut vor seinen Füßen liegen. 2. Auf duft'ges Gras im milden Sonnen- Streckt' er ermattet sich zur Ruhe nieder, 3. Ihm fielen zu die matten Augenlider, 30 Doch seinen wachen Geist enthob ein Traum Der ird'schen Hülle seiner trägen Glieder. 4. Der Schild der Sonne ward im Himmelsraum Zu Gottes Angesicht, das Firmament 35 Zu seinem Kleid, das Land zu deffen Saum. 5. Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt, 40 45 " Nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden, Wenn seine Schwächen er vor dir bekennt. 6. Daß, wen ein Weib gebar, sein Kreuz bienieden Auch duldend tragen muß, ich weiß es lange; Doch sind der Menschen Last und Leid verschieden. 7. Mein Kreuz ist allzu schwer; sieh, ich verlange Die Last nur angemessen meiner Kraft; Ich unterliege, Herr, zu hartem Zwange!" Bd. IV, S. 32. 8. Wie so er sprach zum Höchsten finderhaft, Kam brausend her der Sturm, und es geschah, Daß aufwärts er sich fühlte hingerafft. 9. Und wie er Boden faßte, fand er da Sich einsam in der Mitte räum'ger Hallen, Wo ringsum sonder Zahl er Krenze sah. 10. Und eine Stimme hört' er dröhnend hallen: „Hier aufgespeichert ist das Leid; du hast Zu wählen unter diesen Kreuzen allen." 11. Versuchend ging er da, unschlüssig Von einem Kreuz zum anderen umher, 12. Dies Kreuz war ihm zu groß und das 15. Durchmustert hatt' er schon die ganze ZahlBerlorne Müh'! Bergebens war's ge= schehen! Durchmustern mußt' er sie zum andernmal. 16. Und nun gewahrt' er, früher übersehen, Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu fein; Und bei dem einen blieb er endlich stehen. 17. Ein schlichtes Marterholz, nicht leicht, allein Ihm paßlich und gerecht nach Kraft und Maß: "Herr", rief er, so du willst, dies Kreuz sei mein!" 18. Und wie er's prüfend mit den Augen Es war dasselbe, das er sonst getragen, Er lud es auf und trug's nun sonder Klagen. 10 128. Lekte Heimkehr. (1832.) Bon J. v. Eichendorff. Gedichte. Leipzig 1871. S. 67. 1. Der Wintermorgen glänzt so klar, 2. Doch tot sind, die sonst aufgetan, 3. Da sang kein Vöglein weit und breit, Er lehnt' an einem Baume; 4. Und als er aufsteht vom Gebet, "Komm mit, sollst ruhn nach kurzem Gang!" Er folgt, ihn rührt der Stimme Klang. 2) Märchen, Sagen und Legenden. 129. Die Heinzelmännchen. Gesammelte Berte. Berlin 1856. Bd. I, S. 123. 1. Wie war zu Köln es doch vordem 10 Ehe man's gedacht, 16 Und hüpften und trabten Und eh' ein Faulpelz noch erwacht, War all sein Tagewerk bereits gemacht! 2. Die Zimmerleute streckten sich 20 Hin auf die Spän' und redten sich. Indessen kam die Geisterschar Und sah, was da zu zimmern war. Nahm Meißel und Beil Und die Säg' in Eil'; 25 Sie fägten und stachen, Und hieben und brachen, Berappten und kappten, Bisierten wie Falken so Und sezten die Balken. Eh' sich's der Zimmermann versah, Und goffen und panschten, Und mengten und manschten. Klapp, stand das ganze Haus schon fertig Und eh' der Küfer noch erwacht, War schon der Wein geschönt und fein gemacht! 6. Einst hatt' ein Schneider große Bein; Und schnitten und rückten, Und paßten Und strichen und gudten, Und eh' mein Schneiderlein erwacht, War Bürgermeisters Rod bereits gemacht! 10 15 20 25 Gedichte. Bermehrte Gesamtausgabe. Berlin 1873. €. 68. 1. Wohl kam zur guten Stunde der Rattenfänger hier, Die biffen und die plagten 2. Was zog er aus dem Ranzen? Ein Pfeiflein wunderfein. Er sprach: Sie müssen tanzen mir alle, groß und klein, " Nicht eine soll verbleiben, Mein Pfiff soll euch vertreiben Die ganze Rattenpein." 3. Da sprach von güld’nem Lohne frohlodend gleich der Rat: " Nun, Pfeifer, pfeif, und schone nur nicht der Hölle Saat! So räuberisch begehrlich, 4. Es war ein Pfiff, ein heller, der loďte gleich von Haus, Die tief im Dunkel hausend, Sie sammeln sich zu tausend, 5. Rasch nimmt die Lust ein Ende, er pfeift, und jede muß; Ins Wasser pfeifend geht er, Sie folgen mit Verdruß. 6. So manche dicke Ratte aß heut' ihr leztes Brot, So manche nimmersatte trank heute sich zu Tod'! Begrub all' in den Wellen |