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fahren, als das Schiff in einer Bucht von Ithaka landete. Selbst der starke Stoß des auf den Kiessand laufenden Schiffes konnte den Helden nicht ermuntern, und die Jünglinge, die dem armen Dulder seinen Schlaf von Herzen gönnten, faßten leise die Zipfel des Unterbettes und des Leintuches, auf dem er ruhte, und trugen ihn sanft ans Land. Auch die Geschenke packten sie schweigend aus und stellten sie neben ihn unter einen Ölbaum, und dann s sezten sie sich wieder in ihr Schiff und steuerten fröhlich nach Hause.

Unterdessen erwachte Odysseus auf dem feuchten Boden; er sah sich um. Ein trüber Nebel umhüllte rings die wilde Gegend, und der Arme erkannte sein Vaterland nicht. ,,Wehe mir!" rief er aus,,,an welches fremde Land haben mich diese trügerischen Männer ausgesetzt? Ist das die Treue der Phäaken? Wer mag hier wohnen? Unbändige, grau- 10 fame Horden vielleicht? Wohin wende ich mich ?" Er wankte trostlos am Gestade umher und erforschte die Gegend. Da kam Athene in der Gestalt eines schönen Hirtenknaben auf ihn zu, einen Wurfspieß in der Hand und Sohlen an den Füßen. Freudig erblickte Odysseus den Knaben und redete ihn an:,,Lieber, sei mir gegrüßt, da du mir zuerst hier im fremden Lande begegnest. Sei mir nicht feindlich gesinnt, denn wie zu einer Gottheit flehe ich zu dir 15 und umfasse mit Demut dir die zarten Knice. Vor allen Dingen sage mir, wo bin ich hier? Wie heißt das Land, und was für Männer bewohnen es? Ist es eine Insel oder eine vorragende Küste des festen Landes ?" -,,Du mußt wohl aus weiter Ferne kommen, Fremdling", verseßte der Gefragte,,,weil du dieses Land nicht kennst; denn wahrlich, es ist berühmt genug. Zwar ist's rauh und gebirgig und taugt nicht, um Rosse darauf zu tummeln, aber 20 Getreide und Wein gedeiht hier trefflich, und an Rinder- und Schafherden ist ein reicher Segen. Bäche tränken das Land, und überall wuchert herrliche Waldung. Wahrhaftig, Ithakas Ruf ist bis Troja gedrungen, und das, sagen die Leute, liegt sehr fern vom achäischen Lande." Ithakas Ruf! Also war es wirklich Ithaka, wo der Zweifelnde stand? Wirklich das liebe, lang ersehnte Vaterland? Welche Freude!

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Dann gab sich Athene dem Helden zu erkennen und ließ sich mit ihm unter einem alten Ölbaume nieder, noch ferner Rats mit ihm zu pflegen. So sehr sie ihm ihren Beistand ver sprach, so dringend empfahl sie ihm doch Vorsicht, weil der Freier über hundert seien. Vor allen Dingen, meinte fie, dürfte niemand etwas von seiner Ankunft ahnen, bevor er nicht unter der Hand seine Freunde kennen gelernt und eine Anzahl zuverlässiger Anhänger heimlich auf 30 seine Seite gebracht habe. Darum wollte sie seine Gestalt umwandeln, damit er allen unkenntlich sei, und ihm einen Anzug verschaffen, in welchem niemand auf der ganzen Insel den großen König erkennen solle. Sie berührte ihn darauf sanft mit dem Stabe, und sogleich schrumpfte das schwellende Fleisch und der schlanke Wuchs der Glieder zusammen; es verhärtete sich die Haut in grobe Runzeln, wie bei einem Greise; der stolze Nacken krümmte sich), 36 das braune Haar fiel aus, und blöde wurden die feurigen Augen, die sonst von Mut und Heiterkeit strahlten. Aue den langen, glänzenden Gewändern, die in weiten Falten seinen Leib umhüllten, wurde ein grober, häßlicher Kittel, zerlumpt und garstig eingeräuchert, und als Mantel hängte sie ihm ein altes, abgetragenes Hirschfell um. Den Bettleraufput zu vollenden, verehrte sie ihm noch einen geflickten Nanzen an einem geflochtenen Tragbande und 40 gab ihm einen knotigen Knüttel in seine Hand. In diesem Aufzuge befahl sie ihm, den Sauhirten aufzusuchen, der einer der treuesten Anhänger des königlichen Hauses und ein Erzfeind der Freier sei, und von dem er bald mehr erfahren werde; sie wolle unterdessen dem jungen Telemachos entgegeneilen, denn dieser kehre soeben von Sparta zurück, und schon lauere auf ihn im Hinterhalte zu Schiff die Schar der Freier; allein sie werde ihre Anschläge vereiteln 45 und hoffe, den Jüngling bald seinem Vater wohlbehalten in die Arme zu führen. So trennten sie sich, Odysseus aber erklomm den rauhen Pfad über die waldbewachsenen Berghöhen nach der Richtung hin, wo ihm Athene die Wohnung des braven Sauhirten Eumãos bezeichnet hatte.

Als Telemachos das Gehöft des Oberhirten erreichte, stand die Sonne bereits hoch am 50 Himmel. Die Hirten hatten sich mit ihren Herden schon in Feld und Wald zerstreut, und der biedere Eumãos lagerte mit dem Odysseus um die lodernde Flamme, an welcher sie sich

eben ein Stück Fleisch zum Imbiß gebraten hatten, das sie nun in behaglicher Ruhe verzehrten. Da hörten sie Tritte vor der Tür. ,,Horch!" sagte Odysseus,,, ich höre Tritte, und doch bellen die Hunde nicht. Gewiß besucht dich einer deiner anderen Hirten oder sonst ein Befannter." Kaum war das Wort gesprochen, so stand der schlanke Telemachos an der Schwelle, 5 und alle Hunde sprangen schmeichelnd an ihm in die Höhe und umschnoberten ihn freudig. Der überraschte Sauhirt ließ vor Freuden das Geschirr aus der Hand fallen, in welchem er eben den Wein mischen wollte, und eilte hastig hinaus, dem kommenden Herrn entgegen. Er schlang seine Arme um ihn, wie ein Vater um den lange entbehrten Sohn, küßte ihm Wangen und Augen, Mund und Hände, beneßte ihn mit Tränen, küßte ihn wieder und sah ihn froh10 verwundert an, als sähe er einen vom Tode Erstandenen. Spät erst kam er zu Worte, und mit dem Tone des zärtlichen Vaters rief er aus:,,Kommst du, Telemachos? Bist du da, du Trautester? Ach, ich fürchtete schon, dich nimmer wiederzusehen; da hörte ich, du wärst nad Pylos geschifft. Aber tritt doch herein, geliebter Sohn, daß mein Herz sich deines Anblickes in Ruhe erfreue!" Jezt traten die beiden in die Hütte. Der Sauhirt nahm dem Königssohne 15 die Lanze ab und stellte sie in einen Winkel. Der unbekannte Bettler, dem das Herz beim Anblick des schönen Sohnes mit freudigen Schlägen klopfte, unterdrückte seine tiefe Bewegung. Mit der Ehrerbietung eines Armen stand er von dem Lager auf, um seinen Plaß dem Fremden einzuräumen; aber der bescheidene Telemachos hielt ihn zurück und sprach:,,Bleib sizen, Fremdling, ich finde wohl sonst noch ein Pläßchen. Eumäos wird mich schon unterbringen." Odysseus 20 sezte sich nieder, und der Sauhirt machte sogleich einen neuen Sit von Reifig und Schaffellen zurecht, welchen Telemachos einnahm. Dann holte er die Überreste der vorigen Mahlzeit herbei und reichte dem letzteren zu essen, mischte auch Wein für seine Gäste und bot freigebig dar, was er hatte. Nachdem das Mahl beendigt war, fragte der Jüngling den Sauhirten, was er da für einen Gast bekommen habe, und wie derselbe hier angelangt sei.

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,,Er sagt, er stamme aus Kreta“, erwiderte der Hirt,,,und habe große Reisen gemacht und auf denselben viel Ungemach erduldet. Nun harret er auf weitere Entsendung. Ich gebe ihn dir anheim, zumal ich ihn längst auf deine Freundlichkeit vertröstet habe.“ „Gern täte

ich wahrlich", entgegnete Telemachos,,,an dem guten Manne, was das Herz mir gebietet, aber ich weiß nur ein Mittel. Behalt du ihn in deiner Hütte, da er nun einmal zu dir ge30 kommen ist und dir auch wohl sonst nicht mißfällt; ich will unterdessen Speise und Trank für ihn täglich heraussenden, damit er dir nicht zur Last werde. Auch einen Mantel und Rod und ein Schwert will ich ihm schenken und dann ihn entsenden, wohin er begehrt. Pflege du ihn indessen, wie du nur kannst; er selber, dent' ich, wird mir's nicht verargen, daß ich ihn nicht in den frechen Schwarm der Freier einführe; denn ihn und mich würde es kränken, wenn 35 er dort verhöhnt und beschimpft würde. Aber höre, Vater Eumãos, jest mußt du mir einen Gefallen tun. Mach dich auf nach der Stadt und sage meiner Mutter heimlich, daß ich gesund aus Pylos zurückgekommen bin. Doch hüte dich, daß keiner der Freier es hört! Ich bleibe indessen hier, bis du wieder zurückkehrst."—,,Wohl!" sprach der Hirt und band fich die Sohlen unter die Füße, nahm dann den Stab in die Hand und ging.

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Noch sah ihm Odysseus nach, als ihm durch die halbgeöffnete Pforte die Gestalt eines schönen, schlanken Mädchens erschien, die ihm herauszukommen winkte. Die Hunde krochen schweigend in die Winkel, Telemachos gewahrte die Erscheinung gar nicht. Odysseus aber ahnte die Nähe seiner göttlichen Freundin und ging unter einem Vorwande zur Tür hinaus. Hastig ergriff ihn Athene und sprach:,,Edler Odysseus, jezt ist es Zeit, jest entdecke dich deinem 45 Sohne und beratschlage mit ihm, wie ihr den Freiern in der Stadt ihr Ende bereiten wollet. Ich selber werde mich euch nicht lange entziehen, denn auch mich drängt die Begierde nach dem Rachekampfe." Indem sie dies sprach, berührte sie ihn mit ihrem goldenen Stabe, und angenblicklich verwandelte sich der Bettlerkittel in einen schönen, purpurwolligen Mantel, das verschrumpfte Gesicht in ein männlich blühendes Antlig und der haarlose Scheitel bedeckte sich mit 50 glänzenden, dunkelbraunen Locken. Mit königlicher Würde trat er in die Hütte, der kurz zuvor in Lumpen hinausgegangen war. Telemachos staunte und fah ihn zweifelhaft, ja bange an; er glaubte, ihn versuche ein Gott.,,Fremdling", redete er ihn mit ungewisser Stimme an,,,wie

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erscheinst du mir jest so anders in Kleidung und Gestalt! Ha, ich ahne es, mir naht ein Gott. O schone unser, heiliges Wesen, und sei uns gnädig! Gern wollen wir dir Geschenke und Opfer bringen!",,Sohn!" rief Odysseus mit funkelnden Augen und schloß ihn freudig in die Arme,,,nein, ich bin kein Gott; wie wäre ich Unsterblichen ähnlich! Dein Vater bin ich, um den du solange trauerst, um den du soviele Schmach von den troßigen s Männern ertragen hast! Ich bin Odysseus!" Jezt rannen die lange verhaltenen Tränen und mischten sich mit unaufhörlichen Küssen. Ja, in diesem Augenblicke dünkte sich Odysseus ein Gott, denn des Wiedersehens himmlische Freude, des Wiedersehens Freude in dem lange erfehnten Vaterlande durchschauerte alle seine Glieder. Bergessen war in diesem Augenblicke der Umarmung aller Kummer der vergangenen Jahre, alle Not der Irrsale und Schiffbrüche, 10 aller Schmerz der oft getäuschten Hoffnung; verschwunden war auch die Besorgnis vor den noch zu bestehenden Wagnissen. Er hielt den lieben Sohn in den Armen, den er einst als einen Säugling in den Windeln verlassen hatte, und der jegt in stummem Erstaunen vor ihm stand und immer noch nicht glauben konnte, daß der verwandelte Bettler etwas anderes als ein Gott, daß er gar sein Vater sein sollte. Zweifle nicht länger, lieber Sohn!" fuhr Odysseus 15 fort. „Nicht ich selber bewirkte das Wunder, sondern Athene, die mit mir ist. Götter vermögen ja alles; fie wissen nach ihrem Gefallen einen sterblichen Mann zu verherrlichen und zu entstellen. Ja, ja, ich bin's, bin der zwanzig Jahre entfernte, weit umhergetriebene Odysseus, und du bist mein teurer, mein geliebter Sohn, und das ist meine Freude — ja, Kind, das ist meine höchste Freude, daß ich dich hier in meinen Armen halte." Er konnte vor Schluchzen 20 nicht weiter sprechen. Und sie weinten lange und herzlich, Brust an Brust und Arm in Arm verschlungen Bater und Sohn. Zuweilen sahen sie sich schweigend an und weinten dann wieder und redeten nichts, aber in ihren stummen Tränen floß gleichsam ihre ganze Liebe hin.

42. Der Schwanritter. (Nach Konrads von Würzburg Gedicht.)

Bon J. und W. Grimm.

Deutsche Sagen. Berlin 1866. Bb. II, S. 273.

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Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben zu hinterlaffen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, daß sein Land der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich jedoch Gottfrieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig, sondern bemächtigte sich, aller Klagen der 30 Witwe und der Waise ungeachtet, des Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.

Die Herzogin beschloß daher, bei dem König zu klagen, und als bald darauf Karl nach Niederland zog und einen Tag zu Neumagen am Rhein halten wollte, kam sie mit ihrer Tochter dahin und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsen- 35 herzog gekommen und wollte der Klage zu Antwort stehen. Es ereignete sich aber, daß der König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weißen Schwan, der schwamm den Rhein herab und zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schifflein nach sich. In dem Schiffe aber ruhte ein schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen und neben ihm lagen Helm und Halsberg 1); der Schwan 40 steuerte gleich einem geschickten Seemann und brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann vergaß der Klage der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg. Da sprach 45 der junge Held zu dem Vogel: Flieg deinen Weg wohl, lieber Schwan! Wann ich dein wieder bedarf, will ich dich schon rufen." Sogleich schwang sich der Schwan auf und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an, Karl ging wieder ins Gestühl zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle unter den anderen Fürsten an.

1) Panzerhemd.

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Die Herzogin von Brabant in Gegenwart ihrer schönen Tochter hub nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach verteidigte sich auch der Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampfe für sein Recht; die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihrige zu bewähren. Da erschrak sie heftig; denn er war ein 5 auserwählter Held, an den sich niemand wagen würde. Vergebens ließ sie im ganzen Saale die Augen 'rumgehen, feiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre Tochter flagte laut und weinte: da erhob sich der Ritter, den der Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf rüstete man sich von beiden Seiten zum Streite und nach einem langen und Hartnäckigen Gefechte war der Sieg endlich 10 auf Seite des Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da neigten sie und die Tochter sich vor dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die angetragene Hand der Jungfrau mit dem Beding an, daß sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er ges kommen und welches sein Geschlecht sei, denn sonst müsse sie ihn verlieren.

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Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohlgeraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie gar nicht wußte, wer ihr Vater war, und endlich tat sie an ihn die verbotene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: „Nun hast du selber unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen". Die Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute fielen zu seinen 20 Füßen und baten ihn, zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit demselben Schifflein geschwommen; darauf füßte er beide Kinder, nahm Abschied von seinem Gemahl und segnete das Volk; dann trat er ins Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder. Der Frau ging der Kummer zu Herzen, doch zog sie fleißig ihre Kinder auf. Von diesen stammen viele edle Geschlechter, die von Geldern 25 sowohl, als von Kleve, auch die Rieneker Grafen und manche andere; alle führen den Schwan im Wappen.

43. Wittekinds Ende und Grab in Enger.

Nach L. Schůding und F. Freiligrath, Das malerische und romantische Westfalen. Paderborn 1872. S. 126.

Nördlich von Herford liegt ein unscheinbares, kleines Dorf, welches gewiß das 30 merkwürdigste Westfalens ist; es heißt Enger und war einst eine stolze Stadt, die der Sage nach die Hauptstadt des alten Herzogtums Engern, Residenz und Burg König Wittekinds und Begräbnisort des großen Sachsenhelden gewesen sein soll. Von der Stadt, welche sich weithin um die Burg ausbreitete und das Mark- und Opferfeld umschloß, ist das jezige Enger nur ein geringer Überrest. Sie hatte 35 sieben Tore; Westerenger war die Vorstadt, und hier hatte der König ein Vorwerk, dem auch der Name geblieben ist.

Die Entstehung der Kirche und der Burg wird nach der mündlichen Überlieferung also erzählt: Als Wittekind oder „König Wieking", wie ihn das Volk nennt, Christ geworden, und Friede war im Lande, da beschloß er, auszuruhen von 40 den Kriegszügen und sich einen Königssig zu erwählen, wo er beständig bliebe und die Freunde um sich her versammele. Drei Orte waren ihm besonders lieb: Bünde, der Werder zu Rehme und Enger (nach anderen bloß Enger und Bünde). Da befahl er, daß man an diesen Orten Kirchen bauen solle, und welche von den Kirchen zuerst fertig sei, da wolle er wohnen, in der wolle er begraben werden. Und nun fingen 5 alle zu gleicher Zeit mit gleich vielen Arbeitern an zu bauen. Aber der Baumeister zu Enger gebrauchte die List, den Turm wegzulassen; er war ein Mohr, und zum Wahrzeichen hat er seinen in Stein gehauenen Kopf an die Kirche gesetzt.

Wieking baute nun eine Burg zu Enger. Noch wird die Stelle gezeigt, wo sie gestanden, und selbst von einzelnen Teilen derselben haben Namen und andere 50 Erinnerungen noch heutzutage die Lage aufbewahrt. Der alte Burggraben, der Küchengarten an der Burg, die Pferdeschwemme in der Bornwiese haben noch immer

die alten Benennungen; ebenso ist es mit dem Hühnerhofe. Und bei dem neuen Hölzernen Hause, welches jezt an der Stelle steht, aber immer noch jenen alten Namen trägt, erinnern sogar Überreste verwitterter Mauern an die Zeit des Königs. Auch weiß man, daß die Küche und das Backhaus da waren, wo jest Bergmanns Garten ist, und noch im Jahre 1818 hat man hier beim Abgraben eine gemauerte Herd- & stelle und verwittertes Küchengeräte aufgefunden. Noch jest weiß man die Stellen zu zeigen, wo der König gern weilte. Bei Hartwig am Steine, einem Hofe in der Nähe von Blotho, hat er einen Siz in einen großen Stein aushauen lassen, und oft saß er dort und weidete seine Augen an der herrlichen Umgegend. Im Elfenbusche, einem Gehölze unweit Ebmeier, hatte er seinen Vogelherd und sein Vogelhaus. 10 Der liebste Plaß war ihm aber der Hohe Esch bei Hücker, von wo man weithin schaut in das Hügelland zwischen Süntel und Ösning. Da soll neben einer uralten heiligen Eiche ein Wartturm gestanden haben, und nach dem Abbruche desselben eine Kapelle, zu der man Wallfahrten anstellte. Als endlich mit der Kapelle auch der alte Baum dahingesunken war, ist an seiner Stelle eine ganz ungewöhnliche, wunder- 15 bare Buche aufgewachsen. Ein Stamm war es, der sich nahe an der Erde in sieben Schafte geteilt hatte, welche alle eine ungewöhnliche Höhe erreichten und ganz ohne Seitenzweige fich oben in ihren Wipfeln vereinigten, so daß man in der Ferne die Krone eines Riesenbaumes zu sehen meinte. Zwei von diesen Stämmen sind in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, der eine durch Blige, der andere durch 20 Brand zerstört worden; aber die noch übrigen fünf Stämme hießen auch fernerhin die heiligen sieben Buchen", bis denn auch diese in den letzten Jahren verschwunden sind. Von dem Gefolge Wiekings find die großen Sattelmeier aufgekommen. Sie begleiteten den König zu Pferde und waren auch späterhin verpflichtet, einen berittenen Mann zum Kriege zu stellen. Es sind ihrer noch jezt vierzehn: sieben in der 25 Nähe von Enger (Hausgenossen, freie Bauern, Sattelmeier), und sieben weiterhin in der Umgegend von Bielefeld, Werther und Heppen (hagenfreie Bauern, auch wohl Sattelmeier neben den ersteren genannt). Wenn sie mit dem Könige ritten, so begann der zu Hiddenhausen den Zug, und der Meier zu Hücker schloß ihn; Ringsmeier war Aufseher des Marstalls, Ebmeier Wildmeister und ordnete die Jagden; so Barmeier war das Haupt der Hirten; Windmeier war Wiekings Jäger und nährte seine Hunde. Die Sattelmeier hatten noch bis auf unsere Zeiten den Genuß manches Vorrechtes. Sie waren zehntfrei und wurden besonders feierlich bestattet; es wurde ein gesatteltes Pferd hinter ihrem Sarge hergeführt, dieser aber vor der Einsenkung auf dem Kirchhofe in die Kirche getragen und auf dem Chore niedergesezt, als wollte 36 der Tote hier noch zuletzt von der Grabstätte seines Königs Abschied nehmen.

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Wittekinds Gebeine selbst ruhen in der stillen, einfachen Dorfkirche, die in ihrer etwas verworrenen Bauart ein hohes Alter verrät. Das Grabmal auf dem Chore, mit Ausnahme des alten Bildsteines, rührt wahrscheinlich von Kaiser Karl IV. her, der persönlich 1377 die Stätte besuchte. Die aus Sandstein gehauene Gestalt des 40 Sachsenheerführers ist eine treffliche, sicherlich in das zwölfte Jahrhundert hinaufreichende Arbeit. Wittekind liegt in Lebensgröße da; das Gesicht ist länglich und edel geformt, das Kinn glatt, der Mund klein; das Haar über die Schläfe und Ohren niederfallend; die rechte Hand zeigt einen gekrümmten Mittelfinger, ein Gebrechen, das der alte Sachsenfürst in der Tat bei seinen Lebzeiten hatte. Das 15 Ganze war ehemals sorgfältig und sauber in Farbe gesezt, wovon noch die Spuren sichtbar; aus dieser Zeit stammt die folgende Beschreibung der Abbildung von einem Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts: „Das lange Haupthaar fällt in das Schwarze; das Haupt bedeckt eine himmelblaue Kappe, die von einem Diadem mit Edelsteinen umschlungen ist; doch ist von den Steinen jezt nur noch die leere 50 Fassung zu sehen. Das Unterkleid ist purpurrot; über diesem liegt ein scharlach= farbenes, mit Perlen geziertes Kleid mit goldenem Saum, der ebenfalls mit jetzt

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